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Potsdam - Arbeitslosigkeit oder DDR-Frust sind nicht die wichtigsten Gründe für die rechtsextremen Umtriebe in Deutschland. Vielmehr verstünden bestimmte Jugendgruppen darunter so etwas wie eine "perverse Freizeit-Spaßkultur, angetörnt von Musik und Alkohol". Das sagt der Chef des Verfassungsschutzes des Landes Brandenburg, Heiner Wegesin, in der Landeshauptstadt Potsdam.
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P. Die kriminellen Übergriffe passierten meist am Wochenende, abends oder nachts, in der Regel träten die Täter in Gruppen auf, Alkohol spiele stets eine große Rolle. "Das ist typisches Freizeitverhalten", sagt Wegesin.
"Das sind nicht von der Ideologie Beseelte, und es ist auch kein Arbeitslosenphänome. Die Arbeitslosenzahlen sind in der Szene nicht signifikant höher als sonst". Die jungen Rechtsextremen würden vielfach noch bei ihren Eltern leben, gingen zur Schule, in eine Lehre oder seien berufstätig, weshalb auch leicht wieder der Ausstieg aus dem Milieu gelinge.
Deshalb herrsche auch eine große Fluktuation in der Szene, so der Experte. "In dem Alter probiert man auch viel", sagt der oberste Verfassungsschützer Brandenburgs. Es gebe deshalb auch keine klandestinen Strukturen wie im Terrorismus, wo Menschen plötzlich "abtauchen und weg sind." Der militante Teil sei eine Skinhead-Bewegung von jeweils zehn bis zwanzig Menschen, die eine Jugendbewegung der rund 20-Jährigen bilde.
Mangelndes Freizeitangebot
Das Problem sei das mangelnde Freizeitangebot in Brandenburg, das kleinstädtisch, dörflich strukturiert sei. In der DDR war Jugendarbeit ein flächendeckendes Staatsangebot, die Demokratie habe da, wo dies ehrenamtlich über Kirchen und Vereine geschehe, ein Defizit. Hier bestünde auch Gefahr, warnt Wegesin: "Möglicherweise wird es Alltagsgut, daily mainstream. Da muss entgegengewirkt werden, das kann keine Polizei." Laut Brandenburger Verfassungsschutz könne man nicht jeden "mit Glatze und Stiefeln" als Rechtsextremen bezeichnen. Die größere Rolle spielten die über die Musik transportierten Texte, die bekämen die Jugendlichen samt Tönen eingehämmert.
Zudem beobachten die Verfassungsschützer eine zunehmende Militanz in der Jugend, man greife zur Faust, weil man anders Konflikte nicht lösen könne.
Nicht Ausländerfeindlichkeit kennzeichne diese Gruppen, sondern schlichtes Anderssein, es seien auch schon Schulklassen aus Berlin Ziel von Anfeindungen gewesen.