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Rechtssicherheit versus Gerechtigkeit: Europas Rechtssysteme im Widerstreit

Von Katharina Schmidt

Analysen

Alfons Mensdorff-Pouilly - Musterbeispiel eines reichen Lobbyisten, der es sich gerichtet hat. Dieser Eindruck wird derzeit in der medialen Debatte vermittelt. Der Fall macht aber vor allem eines deutlich: den Unterschied der Rechtssysteme in Europa.


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Denn in Großbritannien hat das Serious Fraud Office zwar festgestellt, Mensdorff - für den die Unschuldsvermutung gilt - sei im Zentrum eines "ausgeklügelten" Bestechungsnetzwerks gestanden. Dennoch wurde das Verfahren gegen ihn im Rahmen eines 328-Millionen-Euro-Deals mit dem Rüstungskonzern BAE eingestellt.

Dieses Vorgehen, das wohl am besten mit der österreichischen Diversion zu vergleichen ist, ist nicht nur im angelsächsischen Raum üblich, sondern etwa auch in den Niederlanden oder in Deutschland, wie Frank Höpfel, Experte für internationales Strafrecht an der Uni Wien, erklärt. Gerade bei Kriminalfällen, bei denen keine Gewalt angewendet wurde, gehe es oft um die Frage, ob eine Strafe tatsächlich im öffentlichen Interesse ist. Und im Fall Mensdorff hat der britische Staat wohl mehr von den BAE-Millionen als von einem Gefängnisaufenthalt.

In Österreich sorgt aber nicht so sehr die Auseinandersetzung mit einem fremden Rechtssystem für Aufregung als vielmehr die Angst davor, dass auch hierzulande alle Verfahren gegen Mensdorff eingestellt werden müssen. Grund dafür ist das Schengener Durchführungsübereinkommen, das eine Doppelbestrafung in ein und derselben Sache verbietet. Noch ist nicht klar, ob es so weit kommt, aber Kanzler Werner Faymann will dies unbedingt verhindern und regt nun gar eine Änderung der Schengener Bestimmungen an, die in Österreich seit 1997 voll gelten.

Hier kommt es zu einem Widerstreit zwischen Gerechtigkeitssinn - wieso soll bei entsprechender Verdachtslage nicht ermittelt werden können? - und Rechtssicherheit. Denn Schengen soll letzteres gewährleisten: Der Zusammenschluss der Staaten in der Union dürfe nicht dazu führen, dass jemand schlechter oder besser behandelt wird als im Rahmen eines Einzelstaats, sagt Höpfel. Und es wäre eine krasse Schlechterstellung, wenn jemand wegen ein und desselben Delikts in mehreren Staaten bestraft werden könnte. Vereinfacht gesagt: Ein Wiener, der im Burgenland einen Einbruchsdiebstahl begeht, muss ja auch nicht in Wien und im Burgenland gesondert ins Gefängnis.

Dies wegen eines prominenten Anlassfalls zu ändern, erscheint problematisch. Eine Einstellung der Verfahren in Österreich würde zwar einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Aber ist es sinnvoll, deswegen das Schengener Abkommen und damit Dinge wie Rechtssicherheit und Personenfreizügigkeit in Frage zu stellen?