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Rechtsstaat? Welcher Rechtsstaat?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Und wieder machen ganz ungeniert EU-Staaten verboten hohe Schulden, ohne dass dies geahndet wird. Rechtsstaat war gestern.


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Wer sich auf der Westautobahn mit Tempo 200 von einer Polizeistreife erwischen lässt, wird dafür eine Stange Geld blechen müssen. Ein Verweis darauf, dass diese Strafe das ohnehin schon desolate Haushaltsbudget des Schnellfahrers schmerzhaft belasten würde, wird die Damen und Herren Exekutivbeamten vermutlich eher wenig beeindrucken. Man nennt das auch Rechtsstaat. Kann für den Einzelnen unerquicklich sein, hat sich aber insgesamt ganz gut bewährt.

Wenn freilich innerhalb der Europäischen Union ganze Staaten sich bei außerordentlich gravierenden Regelverstößen ertappen lassen, dann wird das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wesentlich gelenkiger interpretiert; eine der Hauptursachen dafür, dass der Union im Moment so viel Geringschätzung entgegengebracht wird.

So zu besichtigen jüngst, als die Europäische Kommission im Juli beschloss, keine Strafzahlungen gegen Portugal und Spanien zu verhängen, wie das im sogenannten "Europäischen Stabilitätspakt" vorgesehen ist, sollten Mitgliedstaaten die maximal erlaubten Budgetdefizite von 3 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung signifikant überschreiten. Sowohl Spanien (5,1 Prozent) als auch Portugal (4,4 Prozent) haben sich 2015 aber mehr als deutlich für eine derartige Strafe in Höhe von 200 Millionen im Falle Portugals und von 2 Milliarden für Spanien qualifiziert, die zu verhängen die Kommission freilich unterließ. Und damit den Geist des Stabilitätspaktes mit Füßen trat und das ganze Vertragswerk der Lächerlichkeit preisgab.

Nun kann man ökonomisch ja durchaus darüber debattieren, ob es besonders weise ist, Staaten eine relativ hohe Strafe aufzubrummen, deren Defizit sich damit noch weiter von den angestrebten Werten entfernt. Nur: Wenn die Mehrheit in der EU der Meinung ist, dies sei wirtschaftlicher Unfug, dann wäre es nur konsequent, den "Stabilitätspakt" eben abzuschaffen.

Ohne die verbindlichen Regeln des "Stabilitätspaktes" freilich ist undenkbar, dass Staaten wie Deutschland (oder Österreich) künftig pleitegefährdeten Partnern in der EU aus der Patsche helfen. Eine Konstruktion, in der jeder Mitgliedsstaat Schulden aufnehmen kann, wie es ihm beliebt, und am Ende der deutsche oder der österreichische Steuerzahler dafür aufkommen muss, wird dem Wähler in Deutschland oder Österreich eher nicht zu vermitteln sein. Hält man hingegen, nicht zuletzt aus diesem Grund, am Stabilitätspakt und seinen Regeln fest, dann ist es absurd, sie nicht anzuwenden wie jetzt im Falle Spanien und Portugal. Entweder - oder. So wie er derzeit gehandhabt wird, sorgt der Stabilitätspakt nicht für Stabilität, sondern hat nur eine Funktion: dem deutschen (und österreichischen) Steuerzahler Sand in die Augen zu streuen.

Der wird sich allerdings fragen, warum er sich an Gesetze halten soll, wenn der Staat selbst in besonders schweren Fällen das Recht entsorgt, wenn das aus politischen Gründen gerade opportun erscheint (in diesem Fall übrigens ausgerechnet der deutschen Bundeskanzlerin, die entgegen dem Stabilitätsvertrag für Milde gegenüber Spanien und Portugal plädiert hat, um ihre Isolation in der Asylfrage ein wenig zu durchbrechen). So haben wir uns den Rechtsstaat immer vorgestellt.