Gemischte Reaktionen auf die Präsentation der Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes.
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Straßburg. Der Plenarsaal im Gebäude des Europaparlaments in Straßburg war fast leer, als Bundeskanzler Sebastian Kurz sich von seinem Platz erhob, um den EU-Abgeordneten die Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes näherzubringen: "Ein Europa, das schützt", für Kurz ist das die Bekämpfung der "illegalen Migration", die "Absicherung unseres Wohlstandes" und eine "aktive Nachbarschaftspolitik". Dazu kämen einige Themen, die sich Österreich nicht ausgesucht hat, wie etwa der Brexit oder die Verhandlungen um den mehrjährigen EU-Finanzrahmen. Es fallen mittlerweile gut eingeübte Vokabel wie "Außengrenzschutz", "Wettbewerbsfähigkeit", "Beitrittsperspektive" oder "Westbalkan". Kurz kommt nicht so richtig in Schwung, er ist es nicht gewohnt, in einem riesigen, aber zugleich gähnend leeren Plenarsaal zu sprechen. Doch die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft - für Kurz ein besonderer Moment in seiner noch jungen Kanzlerschaft - ist für die EU-Abgeordneten eine Routineangelegenheit. Vertreter des EU-Ratsvorsitzes kommen und gehen - doch die Abgeordneten, sie bleiben. Und so werden die meisten erst nach der Debatte zur Abstimmung in den Plenarsaal kommen.
Dass Kurz eine "Ausgleichssteuer" für Internetgiganten ins Spiel bringt, wird US-Konzerne wie Amazon, Google und Facebook wenig Freude bereiten. Auch wird London freuen, dass Kurz einem "Rosinenpicken" bei den Brexit-Verhandlungen eine Absage erteilt und für Einigkeit unter den EU-27 plädiert. Dass man es bei den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen niemandem Recht machen kann, ist auch nichts Neues - wenn’s ums Geld geht, endet eben meist die Freundschaft.
Dass der Bundeskanzler davon spricht, dass als "Reaktion auf russische Aggression" neben Sanktionen gegen Moskau auch eine Verstärkung der Dialogkanäle vonnöten ist, wird man im Kreml gerne hören. Und dass Wien der Westbalkan "besonders am Herzen liegt", weiß man in den Staatskanzleien von Belgrad über Podgorica und Skopje bis Tirana schon lange. "Das europäische Projekt ist erst vollendet, wenn der Westbalkan Teil des europäischen Projektes ist", sagt Kurz, es ist somit nur konsequent, dass Wien diese Agenda, die auch Sofia bei seinem EU-Vorsitz vorangetrieben hat, fortsetzt. Kurz spricht auch davon, dass der Dialog mit Afrika intensiviert werden soll - das Thema ist auch ein Steckenpferd des Präsidenten des EU-Parlaments Antonio Tajani und hat breite Unterstützung bei den EU-Parlamentariern.
Europades "Aufbruchs"
Manfred Weber, Alphatier in der europäischen Volkspartei, ein liberaler CSUler aus Niederbayern, dem auch Ambitionen auf die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nachgesagt werden, holt in seiner Rede dann weit aus, erinnert daran, dass Österreich in seiner Verfassung von 1867 ein mehrsprachiges Parlament etabliert hat und ruft die Erinnerung an den "großen Europäer", Außenminister Alois Mock wach, der im Mai 1989 gemeinsam mit dem ungarischen Amtskollege Guyla Horn den Eisernen Vorhang durchschnitten hat. Und Weber spricht weniger von den derzeitigen Angstthemen der Europäischen Populisten, sondern von einem Europa des "Aufbruchs": Geschlossenheit in der Handelspolitik, Initiativen für die digitale Welt und davon, dass es nicht angehe, dass wenn Donald Trump und Wladimir Putin sich in wenigen Tagen in Helsinki treffen, Europa nur mehr Zaungast der Geopolitik sei. Um in der Außenpolitik handlungsfähiger zu werden, fordert er ein Ende der Einstimmigkeit und eine Hinwendung zu Mehrheitsentscheidungen in der EU.
"Wir halten viel vom Aufbruch, wir halten aber nichts vom Abbruch des europäischen Projekts", sagt Udo Bullmann von der Fraktion der Sozialdemokraten. Er kritisiert die Migrationspolitik der CSU und richtet eine Frage an Kurz: "Ihre Regierung sagt, dass die Südgrenze dichtgemacht wird. Ist das so? Somit handelt es sich in der Migrationsfrage nicht mehr um eine Posse zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel, sondern wir haben es mit einer europäischen Krise zu tun, die Schengen und die Reisefreiheit zu zerstören droht." Bullman sieht in den Handlungen der CSU - aber auch der ÖVP - Belege dafür, "dass wir in eine Orbánisierung des Kontinents eintreten." Die Sozialdemokraten würden sich dieser "Verzagtheit" und einer "Politik, die Angst macht" in den Weg stellen, "wir stehen für ein Europa der Optionen und der Hoffnung." Mock, aber auch Willy Brandt und Bruno Kreisky sei die Einigung Europas zu verdanken "und jetzt fliegen da österreichische Helikopter an der slowenischen Grenze". Für die Sozialdemokratin Evelyn Regner sei der Kampf gegen Steuer- und Sozialdumping ebenfalls eine Aufgabe für ein Europa das schützt.
"Mag WienerSchnitzel gerne"
Juncker wurde auch nach dem Unterschied der Türkis-Blauen Regierung zur Schwarz-Blauen-Regierung im Jahr 2000 gefragt - damals hat es ja diplomatische Maßnahmen gegen die Regierung von ÖVP und FPÖ gegeben. Juncker: Die Regierung Kurz habe ein eindeutig pro-europäisches Regierungsprogramm habe. Daher gebe es keinen Anlass zur Sorge, so Juncker. Im Jahr 2000 sei das so nicht zu erwarten gewesen. Nun freue er sich auf den Besuch der Kommission in Wien am 4. Und 5. Juli. In gewohnt launiger Manier gab es noch verklausulierte Kritik an Kurz: "Ich mag Wiener Schnitzel gerne. Aber auf den Teller gehört nicht immer nur Wiener Schnitzel." Zuvor im Plenum gab es noch eine weitere Spitze: Meist könne Juncker sich gut in seine Gesprächspartner hineinführen - aber nicht immer. Bei Kurz sei dies ebenso. Juncker vergaß auch nicht daran zu erinnern, dass die Kommission bereits vor Jahren Vorschläge zur Reform des Dublin-Systems gemacht habe - diese seien aber nicht zuletzt von den deutschsprachigen Mitgliedsländern verworfen worden.