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Reden ist Silber - gute Stimmung ist Gold

Von Christian Thiel

Reflexionen

Doris Stimmung ist im Keller. "Seit drei Jahren fahren wir im Sommer in die Berge - und nun will Karl in diesem Jahr schon wieder nicht ans Meer." Ein Wort gibt das andere und am Ende schmollen Doris und Karl vor sich hin. Doch eine Lösung haben die beiden damit noch lange nicht. Und die schlechte Stimmung nervt Doris.


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Solche Situationen kennen viele Paare. Leider aber erhalten sie die falsche Hilfe, wenn sie Unterstützung brauchen. Kommunikationsexperten etwa raten dann, die Probleme zu besprechen - was nicht hilft, weil die Stimmung zwischen den beiden schlecht ist. Allzu oft ist das Ergebnis solcher Gespräche nur noch mehr schlechte Stimmung. Wie sollte es auch anders sein! Beide sind mehr denn je davon überzeugt, im Recht zu sein. Und die schlechte Stimmung zwischen ihnen tut ein übriges. Sie lässt die Nerven schnell blank liegen. In solch einer Lage ist eine Lösung nur schwer zu finden. Oft bekommen Paare auch Hinweise, wie sie ihre Kommunikation verbessern können - was genauso wenig hilft, weil die Stimmung zwischen den beiden schlecht ist.

Streiten oder nicht? Ich weiß nicht, wie Sie über Streiten in der Partnerschaft denken. Vielleicht glauben Sie, Streit gehöre zu einer Beziehung nun mal dazu. Er sei normal - weil alle es tun. Oder Sie gehören zu den eher harmoniebedürftigen Menschen, denen immer wieder geraten wird, sich doch ruhig mehr zu streiten - weil das angeblich für eine glückliche Partnerschaft besonders wichtig ist. Nach langen Jahren der Arbeit als Single- und Partnerschaftsberater kann ich Ihnen versichern: Streit ist nicht die Lösung!

Vermeiden Sie frustrierende Auseinandersetzungen, bei denen die Stimmung immer schlechter wird. Wenn ein Paar sich streitet, entsteht schnell eine negative Spirale aus Enttäuschung, Vorwürfen, frustrierenden Gesprächen und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden. In dieser Stimmung fällt uns immer mehr ein, was uns am anderen stört, und da der andere nicht nachgibt, sehen wir schon bald keinen Ausweg mehr.

Streit ist nicht die Lösung! Zugegeben, diese Behauptung klingt gewagt. Seit Jahrzehnten raten uns Paartherapeuten und Kommunikationsexperten zu mehr Beziehungsarbeit, zu einer offeneren Streitkultur und dazu, unsere Probleme auszudiskutieren. Kontroversen wie die von Doris und Karl prägen deshalb heute den partnerschaftlichen Alltag.

Reden ist nur Silber. Doch über Probleme zu reden, ist für eine Beziehung im besten Fall Silber - im schlimmsten Fall der direkte Weg in den Abgrund. Viele Paare wenden sich einander nur zu, um über Probleme zu reden, die sie miteinander haben. Dadurch bestätigen sie sich unentwegt in ihrer Unterschiedlichkeit und verschlechtern die Stimmung noch mehr. Das ist auch der Grund, warum der oft erteilte Ratschlag "Reden Sie darüber!" Paaren nicht weiterhilft, ja ihre Probleme sogar oft noch vergrößert. Denn das Gefühl der positiven Bestätigung durch den Partner entsteht bei Problemgesprächen naturgemäß nicht.

Wenn Sie viel über ihre Probleme als Paar reden, dann kann das Ihre Partnerschaft zerstören. Mit nächtelangen Problemgesprächen machen sie aus der blühenden Pflanze ihrer Liebe in kurzer Zeit ein vertrocknetes Gestrüpp, an dem Ihnen schon bald nichts mehr liegt. Ein Paar, das am Ende eines Tages anfängt, sich über seine Beziehung zu unterhalten und über das, was zwischen ihnen alles schief läuft, destabilisiert die Partnerschaft. Probleme sind wie Goldfische - sie wachsen, wenn man sie füttert.

Beziehungsformel. Zu diesem Ergebnis kommt auch der bekannte amerikanische Partnerschaftsforscher John. M. Gottman. Seit mehr als 30 Jahren erforscht Prof. Gottman in seinem Ehelabor in Seattle den Zusammenhalt von Paaren. Immer wieder ließ er Paare über ein Problem diskutieren und filmte sie dabei. Heute ist er soweit, dass er aus einem solchen Gespräch mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent vorhersagen kann, ob ein Paar lange zusammen bleibt oder nicht.

Berühmt wurde Gottman mit seiner Beziehungsformel. Für jede kritische Äußerung gegenüber dem Partner muss es - so seine Erkenntnis - fünf positive geben, damit ein Paar dauerhaft zusammen bleibt.

Reden ist Silber - gute Stimmung dagegen ist Gold! Lassen Sie Ihr Problem doch einfach ruhen. Sie denken möglicherweise: "Wenn nur erst das Problem gelöst ist, dann ist endlich auch die Stimmung zwischen uns besser." Viele Paare denken so. Sie glauben, dass sie glücklich wären, wenn sie nur ihre Probleme miteinander lösen könnten. Man kann diese Sicht aber auch umdrehen: Wenn ein Paar glücklich miteinander ist, dann gelingt es ihm auch, seine Probleme zu lösen. Es geht dann einfach besser. Wenn also erst einmal die Stimmung besser ist, dann kommt auch eine Lösung leichter zu Stande. Und so sieht das Programm für eine gute Stimmung aus:

Keine Problemgespräche. Meiden Sie für einige Tage alle Problemgespräche. Das gilt in Doris Fall nicht nur für die leidige Urlaubsplanung, sondern auch für andere Themen, bei denen sie und Karl unterschiedlicher Meinung sind. Ist die Stimmung in einer Beziehung schlecht, lassen sich für partnerschaftliche Streitfragen nur schwer Lösungen finden. Ist die Stimmung dagegen gut, findet sich leichter ein Weg.

Keine Kritik. Unterlassen Sie in den kommenden Tagen auch jede Kritik an Ihrem Partner. Er hat den Abwasch nicht gemacht? Macht nichts. Sagen Sie es ihm in höflichen Worten. Oder machen Sie den Abwasch selber. Aber vermeiden Sie jedes kritische Wort.

Kümmern Sie sich um sich selbst. Ihr Wohlergehen gehört, wenn die Stimmung in der Partnerschaft getrübt ist, ganz nach oben auf Ihrer Prioritätenliste. Verwöhnen Sie sich, zum Beispiel mit einem Blumenstrauß oder einem Saunabesuch. Unternehmen Sie etwas. Gehen Sie zum Beispiel mal wieder aus. Alleine oder zusammen mit einem Freund oder einer Freundin. Oder lesen Sie mal wieder ein Buch. Was Sie machen ist einerlei - Hauptsache sie haben Freude daran. Eine wichtige Frage hierfür: Was vermissen Sie möglicherweise schon lange?

Bleiben Sie sich treu. Nur um des lieben Friedens willen brauchen Sie nicht auf Ihre Vorstellungen zu verzichten. Wenn Sie Probleme ruhen lassen, dann bedeutet das nicht, dass Sie sie begraben sollen. Verlieren Sie Ihre Wünsche nicht aus den Augen. Unerfüllte Wünsche sind der Sargnagel so mancher Beziehung. Erst verzichtet sie auf den Urlaub am Meer, dann er aufs Segeln. Und so weiter und so weiter.

Nehmen Sie die Dinge in die Hand. Erledigen Sie etwas, was Sie schon seit einiger Zeit vor sich herschieben. Kaufen Sie endlich die neue Lampe für den Flur und bringen Sie sie an. Besorgen Sie sich die Unterlagen für die Fortbildung, an der Sie interessiert sind.

Kümmern Sie sich um Ihren Partner. Wenn die Stimmung zwischen Ihnen schlecht war, dann hat auch er oder sie ein paar Streicheleinheiten für die Seele nötig. Loben Sie ihn, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Kochen Sie ihr etwas Besonderes. Kaufen Sie ihm etwas Nettes. Und sprechen Sie nach wie vor nicht über Probleme mit ihm. Ihr Partner wird es zu schätzen wissen und sich entspannen.

Machen Sie sich klar, was Sie an Ihrem Partner schätzen. Schreiben Sie drei Eigenschaften auf, die für ihn, die für sie sprechen. Lenken Sie Ihren Blick auf diese Weise auf das Positive in Ihrer Beziehung. Das ganze Elend der Partnerschaftsstreitereien hat viel damit zu tun, dass unsere Gedanken nur noch um das Schlechte kreisen, um das, was uns am anderen nicht gefällt. Um das, was wir in der Beziehung mit ihm nicht bekommen. Zwei Menschen sind aber immer aus guten Gründen zusammen. Wer sich darauf besinnt, der bessert die Stimmung in der Beziehung - und darauf kommt es jetzt an.

Doris war nach den drei Tagen mit ihrem Programm für eine gute Stimmung hellauf begeistert. Mit Karl verstand sie sich wieder gut. Und schließlich schlug er ganz von sich aus ein neues Urlaubsziel vor: Die kanarische Insel La Gomera. Jede Menge Wasser - für sie. Und jede Menge Berge zum Wandern - für ihn. Doris war zufrieden mit dieser Lösung, die am Ende ganz ohne Streit zustande gekommen war. "Ich habe in den Jahren zuvor immer zu schnell nachgegeben", sagt sie nun selbstkritisch. "Wahrscheinlich war Karl gar nicht klar, wie wichtig mir mein Wunsch nach Urlaub am Meer war."