Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Knapp sieben Wochen vor den EU-Wahlen demonstrieren die Abgeordneten in Straßburg und Brüssel, was dieses Parlament vor allem sein könnte: Interessensvertretung der 500 Millionen Unionsbürger. Allein am Donnerstag sprachen sich die 766 Abgeordneten (nach der Wahl sind es nur noch 751) für eine Abschaffung der Roaminggebühren bei Handys per Ende 2015, für das Recht von Internetnutzern auf einen gleichberechtigten Zugang zu allen Angeboten im Netz sowie für eine Deckelung der Gebühren bei der Verwendung von Kreditkarten.
Wenn doch nur immer Wahlkampf wäre!
Die Union leidet darunter, dass eine wachsende Menge ihrer Bürger das Gefühl hat, ihre eigenen Interessen stünden nicht im Mittelpunkt. Stattdessen dominiere ein Europa der Konzerne und des Kapitals. Das behaupten sogar manche, die es durchaus gut meinen mit dem europäischen Projekt, und ziemlich viele jener, denen dieses Unterfangen aus unterschiedlichsten Motiven ein Dorn im Auge ist. Ob dieser Vorwurf stimmt oder nicht, ist dabei nebensächlich. Entscheidend ist, dass es dem vorherrschenden Bauchgefühl einer kritischen Masse entspricht.
Die EU steht unter Rechtfertigungsdruck. Sie muss ihren Bürgern deutlich machen, worin die Vorteile ihrer bloßen Existenz liegen. Nicht nur durch hohle Rhetorik, sondern durch konkrete politische Taten. Je konkreter, desto besser. Grenzenloses Reisen, Studieren und Arbeiten, billigere Handytarife, wirksamer Konsumentenschutz, sichere Energieversorgung, Abbau von Bürokratie und anderen Handelshemmnissen und und und.
Der Verweis auf das "Friedensprojekt Europa" hat, so richtig er nach wie vor ist, bald 70 Jahre nach Weltkriegsende und 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an Zugkraft verloren. An die Union werden längst höhere - eigentlich ja eher: alltäglichere - Ansprüche gestellt.
Wer dies als Sturz in profane politische Niederungen begreift, hat nicht verstanden, dass in der Demokratie die politischen Institutionen "liefern" müssen. Andernfalls verweigern die Bürger im Gegenzug ihren Rückhalt.
Diesen Nützlichkeitstest für den schlichten Alltag muss auch das EU-Parlament bestehen. Nicht in den Augen irgendwelcher Eliten, sondern im Sinner der - durchaus wechselnden und einander widersprechenden - Interessen der Bürger.