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Reduzierte Familien

Von Angela Thierry

Reflexionen

Alleinerziehende Mütter sind also in unserer Gesellschaft keine Minderheit mehr. Sie stehen sehr unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber, denn nach wie vor gilt es als selbstverständlich, dass Alleinerzieherinnen ihre Mutterrolle ganz "normal" erfüllen, obwohl sie auch "gegengeschlechtliche" Rollen übernehmen müssen.


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Laut neuesten Erhebungen des "Österreichischen Instituts für Familienforschung" haben Alleinerzieherinnen mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen.

Sie stehen unter der Belastung der Alleinverantwortung und sind gezwungen, Familien- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Sie müssen Einbußen im Lebensstandard hinnehmen und sehen sich mit ständigen Zeitproblemen und Vorurteilen konfrontiert.

Alleinerzieherinnen haben - neben der schlechteren ökonomischen Situation - auch besondere Probleme, soziale Kontakte zu pflegen. Für die meisten ist es schwierig, Kontakte über Müttergruppen hinaus zu erschließen.

In der Erziehung haben sie - zumindest am Beginn der Einelternschaft - häufig Disziplinschwierigkeiten. Frauen müssen sich ihre Autoritätsposition erst erkämpfen, während Kinder den Vätern Autorität eher von Beginn an zugestehen. Alleinstehende Frauen haben diese Autoritätsprobleme auch gegenüber Dritten, wie z.B. dem Vermieter oder Arbeitgeber.

Für alleinerziehende Mütter ist die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit nicht nur in praktischer Hinsicht besonders schwierig. Oft fürchten sie auch, dass ihre Erwerbstätigkeit auf Kosten der Kinder geht, leiden unter diffusen Schuldgefühlen und stehen nicht selten unter dem Druck, ihre Berufstätigkeit rechtfertigen zu müssen. Nicht berufstätige, daher meist arme Sozialhilfeerzieherinnen müssen sich den Vorwurf der "Sozialschmarotzerin" anhören.

Es gibt auch Vorteile. Alleinerziehende können ihr Leben weitgehend selbst gestalten. Es redet ihnen niemand drein und sie brauchen ihre Entscheidungen nur vor sich und allenfalls vor den Kindern zu rechtfertigen. Sie können Eintopf und Spaghetti kochen, solange es ihren Kindern schmeckt. An Hausarbeit erledigen sie nur das, was sie als notwendig erachten. Sie müssen keinen Mann versorgen. Aktuellen Erhebungen zufolge reduziert sich die Hausarbeit für sie sogar um ein Drittel.

Doch inwieweit stimmen diese Aussagen mit der Realität überein? Vier betroffene Frauen haben dazu sehr unterschiedliche Antworten, die sich nur zum Teil mit den Erhebungen und Aussagen der Familienforschung decken.

**Rosmarie K., Grafikerin (Name der Red. bekannt). Ihr Sohn ist heute 7 Jahre alt.

"Ich habe mir immer selbst die Schuld gegeben, wenn etwas schief gelaufen ist. Jede Entscheidung folgt ja im Alleingang, man kann sich mit niemandem beraten. Auch jedwede Initiative liegt zu 100 Prozent bei mir. Natürlich fällt der Streit über Erziehungsfragen komplett weg, das kann bei Paaren, die auf diesem Gebiet nicht am gleichen Strang ziehen, zu Schwierigkeiten führen. Wenn mich mein Sohn gefragt hat, warum sein Vater nicht bei uns ist, versuchte ich ihm das so zu erklären, dass es auch für uns drei besser ist, in dieser Form zu leben, als ständig Streit zu haben. Was meine Karriere betrifft, so habe ich da einen gewaltigen Karriereeinbruch erlebt, da sehe ich für Alleinerzieherinnen schon ein gewaltiges Problem."

Marlen-Christine Kühnel, Schriftstellerin, Verlegerin, zwei Kinder.

"Zum Zeitpunkt der Scheidung waren meine Kinder 13 und 14 Jahre alt. Mein ständiger Begleiter war das schlechte Gewissen ihnen gegenüber. Ich musste zahllose Überstunden machen, um unseren Lebensstandard zu sichern. Sprachreisen, schulische Sonderveranstaltungen und Maturareisen waren zu finanzieren. Wie oft habe ich mir damals gewünscht, zuhause bleiben und mich voll der Erziehungsarbeit widmen zu können. Es war diese Zerrissenheit zwischen Kindern und Arbeit, die mich zermürbt hat und die enorm viel Energie gekostet hat. Auch das mangelnde Verständnis meines damaligen Chefs war nicht besonders hilfreich: Sie haben zwei Kinder, sind alleinerziehend, haben keine Großmutter - da sind Sie aber selber schuld. Meine Tage begannen in der Früh um 6:30 Uhr und endeten weit nach Mitternacht. Irgendwann gingen meine körperlichen Kräfte zu Ende und ich geriet in einen seelisch und körperlich bedingten burn-out. Krankenhausaufenthalte und der anschließende Genesungsprozess haben mich zwei Jahre meines Lebens gekostet. In dieser Zeit waren es die Liebe und Zuwendung meiner Kinder, die mich im wahrsten Sinne des Wortes am und im Leben gehalten haben. Was mich nach meiner Scheidung sehr getroffen hat, war der Verlust sämtlicher sozialer Kontakte, die während meiner Ehe so ausgezeichnet funktioniert hatten. Die Bussi-Bussi-Gesellschaft lässt jeden fallen, der ihr nicht mehr nützlich ist.

Trotzdem sage ich heute rückblickend, dass ich für alles dankbar bin, was ich erlebt habe, ich bin reifer und gelassener geworden. Mit 50 habe ich dann den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Mein Sohn meint, ich hätte alles nicht besser machen können. Meine Tochter sieht mein Leben kritischer: Sie würde einen anderen Weg einschlagen, nicht 10 Jahre lang nur Hausfrau sein, dabei sämtliche Pensionsansprüche verlieren und bei einer Scheidung dann auch noch einen Karriereknick in Kauf nehmen müssen. Ich finde, dass ich viel gewonnen und wenig verloren habe. Meine Erfahrungen verarbeite ich in meinen Büchern".

Christine Marek, 39 Jahre, seit 11.1.2007 Staatssekretärin im Wirtschafts- und Arbeitsministerium, alleinerziehende Mutter eines heute 13-jährigen Sohnes."Die Entscheidung, alleine zu bleiben, fiel bei mir schon im dritten Schwangerschaftsmonat.

Die Beziehung hat einfach nicht gepasst. In den drei Jahren die ich nach der Geburt von Maximilian zuhause war, fasste ich den Entschluss, in die Politik einzusteigen und engagierte mich anfangs in der ÖVP Meidling. Es war meine aktivste Zeit, das Kind nahm ich überall hin mit. Nach Ende der dreijährigen Karenzzeit stieg ich wieder ins Berufsleben ein und zwar bei der Firma Frequentis in Wien, wo ich es bis zur Betriebsratsvorsitzenden schaffte. In dieser Funktion engagierte ich mich in vielen Projekten, die das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Inhalt hatten. 2000 war das Startjahr für meinen politischen Werdegang als Kammerrätin in der Wiener Arbeiterkammer. Von 2002 bis 2005 war ich Landesobmann-Stellvertreterin der ÖVP Wien. 2002 erfolgte mein Einzug als Abgeordnete in den Nationalrat. All dies hätte ich sicher nicht ohne die Hilfe meiner Mutter geschafft, die sich um die Betreuung meines Sohnes gekümmert hat. Sie wohnt bei uns, wir sind eine komplette Familie, auch wenn der Vater fehlt. Sobald zwei Generationen unter einem Dach leben und Verantwortung füreinander übernehmen, ist das eine Familie. Dies ist meine feste Überzeugung und das halte ich auch für die richtige Definition. Ich werde sehr ärgerlich, wenn Umschreibungen wie unkomplette oder sogar defekte Familie ausgesprochen werden.

Sehr erfreulich finde ich es, dass sich laut aktueller Befragung des Justizministeriums heute mehr als 50 Prozent der geschiedenen Eltern für eine gemeinsame Obsorge ihrer Kinder entschließen. Das halte ich für eine große Entlastung des alleinerziehenden Elternteils. Patchworkfamilien und viele neue Lebensformen brauchen auch neue Formen im System. Wenn der Kindesvater im Ausland lebt, sich absetzt oder nicht erwerbsfähig ist, gibt es heute noch kein Gesetz, demzufolge die öffentliche Hand einen Unterhaltsvorschuss geben kann. Hier müssen wir von einem Vorschuss- zu einem Subventionssystem kommen, sonst bringen wir Alleinerzieherinnen, die es wirtschaftlich ohnehin schwer genug haben, in finanziell äußerst prekäre Situationen."

Der eigene Lebensweg ist Anlass genug für Christine Marek, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie neu zu überdenken und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen: z.B. freiwillige Kinderbetreuungsschecks, die von den Arbeitgebern an ihre Arbeitnehmer steuerfrei ausbezahlt werden, der Ausbau qualifizierter Teilzeitarbeit, frauenspezifische Weiterbildungsangebote im AMS, verstärkte Unterstützung für Wiedereinsteigerinnen und vermehrt Anreize für vereinbarkeitsfreundliche Unternehmensführung. Als Leiterin der Perspektivengruppe der ÖVP Frauen wird Christine Marek diese Herausforderungen unserer modernen und zum Teil völlig veränderten Arbeitswelt engagiert und energisch vorantreiben.

Doina Weber, Schauspielerin, ledig, eine Tochter, heute 17 Jahre alt.

Der Kindesvater war 14 Jahre jünger. "Meine Schwangerschaft war nicht geplant, wurde aber in der damaligen Lebenssituation von beiden Elternteilen klar bejaht. Leider hat sich der Kindesvater in der Folge aber so gut wie gar nicht um unsere Tochter Rasa gekümmert. Er lebt heute irgendwo in Berlin. Nach meinem letzten Versuch, die Unterhaltsschulden für meine Tochter einzufordern, ist er untergetaucht und hat auch sein Handy abgemeldet.

Bevor ich mehr über meine Lebenssituation als alleinerziehende Mutter sage, möchte ich doch etwas für mich ganz Wichtiges festhalten: Ich habe niemals, zu keiner Zeit meines Mutter-Seins, meine Entscheidung FÜR das Kind bedauert oder infrage gestellt. Im Gegenteil: Meine Tochter ist für mich die beglückendste Erfahrung, das erweiterndste Erlebnis, kurz - das bisher größte Geschenk meines Lebens.

Heute blicke ich auf einen langen Zeitraum zurück, der ausgefüllt ist mit unterschiedlichen, überraschenden Ereignissen, Anforderungen und Verwandlungen. Ruhe und Kontinuität gab es in unserem Leben äußerst selten, sosehr ich mich auch bemüht habe. Das einzige gemeinsame Kontinuum war die ständige Veränderung und die Liebe zueinander.

Eine alleinerziehende Mutter ist keine Weise und keine Heilige, sie ist vor allem und in erster Linie ein meist doppelbelasteter Mensch. Wenn das Wort allein über längere Strecken das Leben von Mutter und Kind dominiert, höhlt das die psychischen und physischen Reserven massiv aus.

Mein Beruf als Schauspielerin setzt eigentlich eine totale Verfügbarkeit voraus: Probenzeiten, die jeden gewerkschaftlichen Rahmen sprengen, Kurzzeitverträge, häufige Ortswechsel - oft unangekündigt und innerhalb weniger Tage -, gedankliche Gestaltungsprozesse, die sich auch nach Arbeitsschluss nicht einfach abstellen lassen, die andauernde Bedrohung durch Arbeitslosigkeit bei permanenter Aufrechterhaltung des Bildes einer konkurrenzfähigen, strahlenden Erscheinung - das alles bringt einen mitunter schnell an die Grenzen dessen, was sich an verantwortlicher Organisation des Familienlebens leisten lässt. Wenn man die berufliche Struktur am Laufen erhalten muss, um den Lebensunterhalt von Mutter und Kind zu sichern, gleichzeitig aber die elementaren Grundbedürfnisse des Kindes nach Zuwendung, Aufmerksamkeit und Versorgung befriedigen möchte - dann muss man bei einem 24-Stunden-Tag klare Prioritäten setzen. Das bedeutet dann schnell: totaler Verzicht auf eigene Bedürfnisse und auf ein Privatleben. Es gibt, glaube ich, keine Lebensform, die die emotionalen Batterien schneller ausbrennen lässt. Es waren anstrengende und schwierige Jahre, in denen ich den Grossteil meiner Gagen in Babysitterlöhne, teure Nachmittagsbetreuungen und Leih-Omas stecken musste. Dies ging zum Teil weit über die Grenzen dessen hinaus, was ich mir leisten konnte.

Der Kindesvater hat sich nach dem Scheitern unserer Beziehung so nachhaltig abgesetzt, dass er seine Tochter nicht nur ohne finanziellen Unterhalt, sondern nach ihrem ersten Lebensjahr auch fast ohne jede persönliche Zuwendung ließ. Ich hatte also keine Hilfe aus dem Familienkreis, die selbstverständlich gewesen wäre, sehr wohl aber bezahlte Hilfen und unerwartete Hilfen von Freunden und mir nahestehenden Menschen, auf die ich mit Dankbarkeit und Abhängigkeits-Gefühlen zurück denke.

Ab dem 12. Lebensjahr meiner Tochter wurde die Familie von Rasas bester Schulfreundin zum rettenden Glücksfall, sie nahmen meine Tochter mehrmals wie ein Geschwister-Kind bei sich auf, wenn ich an Universitäten in anderen Städten unterrichtete oder Proben für ein Stück an einem auswärtigen Theater hatte.

Was die wirtschaftliche Situation betrifft - hier hatte ich immer sehr zu kämpfen. Anfangs habe ich das unterschätzt, denn als ich schwanger wurde, habe ich gut verdient und war in einem festen Engagement an einem großen Berliner Theater. Ich war zuversichtlich, dass meine berufliche Lage stabil bleiben würde. Leider wurde das Theater, an dem ich gespielt hatte, ausgerechnet in dem Moment, als ich Mutter war, das erste Opfer von Subventionskürzungen und Theaterschließungen. Damit begannen lange Jahre der Kurzzeitverträge an wechselnden Theatern in Deutschland und Österreich, verbunden mit teuren Übersiedlungen und Ortswechseln. Der Kindesvater nahm seine Rolle als unterhaltsunfähiger Student als lebenslanges Dauerrecht in Anspruch und entzieht sich - trotz aller vorhandenen gerichtlichen Titel - seit 17 Jahren erfolgreich der Verantwortung für seine Tochter. Erschwerend kommt für mich hinzu, dass es am Theater ein drastisches Gagengefälle zwischen Männern und Frauen gibt. Es zeigt sich immer wieder, dass ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass ein Mann in einem Theaterberuf eine Familie zu erhalten hat. Wenn aber eine Schauspielerin Kinder versorgt, nimmt jeder an, dass irgendwo im Hintergrund schon ein zahlender Exgatte für die finanzielle Grundsicherung gerade steht. Ganz so, als handle es sich bei der Schauspielerei für Frauen nicht um einen überaus anstrengenden Broterwerb, sondern um ein luxuriöses künstlerisches Hobby.

Das "Familien-Modell", das ich gewählt habe, besser gesagt, in das ich hineingeraten bin, ist nicht zu empfehlen, es ist zu hart. Sich alleinerziehend zu behaupten, bedeutet aber auch eine radikale Erfahrung von eigener Stärke, lehrt Vertrauen in die eigene Improvisationsfähigkeit in unlösbar scheinenden Problem-Situationen.

Die spezifische, sehr komplizierte Lage von alleinerziehenden Frauen in kreativen Berufen wird von der Politik viel zu wenig und unzureichend erfasst. Wir stoßen immer wieder an Grenzen. So sind z.B. die Vergabe-Regeln von Unterstützungen nicht dafür gemacht, auf Frauen angewendet zu werden, die weder eindeutig nur angestellt noch ausschließlich selbständig arbeiten, deren Einkommenshöhe unvoraussehbaren Schwankungen ausgesetzt ist und deren Arbeitgeber ständig wechseln, wobei die Verträge immer kurzfristiger werden. Auch die Sozialversicherungs-Modelle versagen hier oft. Man wird dringend neue Lösungen für alleinerziehende Elternteile finden müssen, denn wir leben in Strukturen, die sich gesellschaftlich radikal wandeln, in denen sich das klassische Familienmodell auflöst und die Lage am Arbeitsmarkt einer zunehmenden Verschärfung ausgesetzt ist."