Wien - EU-Konventspräsident Valery Giscard d'Estaing schlägt in seinem Reformgremium schon seit längerem wenig Sympathie entgegen: "So geht es nicht", stellte etwa Reinhard Rack, österreichisches Konventsmitglied, zu den jüngst von Giscard präsentierten Vorschlägen zu einer europäischen Verfassung fest. Grund für die Missstimmung: Die 105-köpfige Konventsmannschaft fühlt sich von ihrem Vorsitzenden permanent übergangen.
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Die Aufregung unter den Konventsmitgliedern kommt nicht von ungefähr: Geht es doch gerade in diesen Tagen um die künftige Machtverteilung innerhalb der Union: Wer hat was in Europa zu sagen, wie weit darf die Integration gehen? Betroffen sind davon alle Institutionen der EU, vom Parlament bis zum Europäischen Gerichtshof.
Was Giscard von vielen Konventsmitgliedern angekreidet wird, ist, dass er diese heikelsten aller heiklen Fragen nicht wie üblich in Arbeitsgruppen ausarbeiten ließ, sondern über ein Jahr ganz allein über Reformkonzepten gebrütet hat und die Vorschläge dann am vergangenen Dienstag quasi "von oben herab" präsentierte. Ein hochrangiger Vertreter der Europäischen Volkspartei wählte sogar den Begriff "autistisch" für die Vorgangsweise Giscards.
An dem Franzosen selbst prallen all diese Vorwürfe ab: Das bestehende System müsse reformiert werden, damit es die nächsten 50 Jahre halte. Und vor allem: "Wir müssen mit der Arbeit vorankommen", ist Giscard überzeugt.
Immerhin: Von des Präsidenten in Eigenregie ausgearbeiteten Vorschlägen ist mittlerweile vieles weggebrochen: So wurde Giscards Lieblingsidee eines Europäischen Volkskongresses vom 13-köpfigen Konventspräsidium nicht goutiert, einen EU-Vizepräsidenten wird es auch nicht geben.
Gewählter Präsident
Aber auch die überarbeitete Version einer künftigen Verfassung erbost viele im EU-Konvent. Denn das Präsidium unterstützt die Pläne Giscards für einen hauptamtlichen, auf maximal 5 Jahre gewählten EU-Präsidenten. Das wird von vielen als Stärkung der Regierungen und vor allem der großen EU-Länder gewertet und dementsprechend abgelehnt: "Giscard hat eine schwere Regierungs-Schlagseite. Auch nach mehreren Anläufen konnten wir ihm leider nicht mehr Ausgewogenheit einimpfen", so Reinhard Rack. Der Konvent werde diese Regierungslastigkeit Giscards aber ausgleichen, ist der Österreicher überzeugt.
Der Konventspräsident selbst argumentiert, dass die Schaffung einer solchen Funktion unbedingt notwendig sei, um Europa eine stabile Führung zu verpassen und die Diskontinuitäten eines sechsmonatlich wechselnden Vorsitzes zu vermeiden.
Schlanke EU- Kommission
Zweiter höchst sensibler Punkt: Giscard will eine abgeschlankte EU-Kommission. Von bislang 20 soll die Zahl auf 15 reduziert werden. Die Konventsvertreter der kleineren EU-Länder, darunter Österreich, sind empört. Man fürchtet um das mühsam austarierte Gleichgewicht zwischen den EU-Institutionen. Das Amt eines EU-Präsidenten erniedrige den EU-Kommissionspräsidenten zu einem "Assistenten", so etwa Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Verärgerung macht sich darüber breit, dass Giscard nach Ansicht vieler überhaupt nicht auf die Anliegen und Bedenken der EU-"Kleinen" eingehe.
Dementsprechend heftig war auch der Widerstand des EU-Konvents bei der letzten Plenarsitzung am Freitag. Der österreichische Regierungsvertreter, Hannes Farnleitner, berichtete, dass 21 seiner Amtskollegen gegen die Vorschläge gewesen wären, darunter sogar die euroskeptischen Briten. Allein Frankreich und Spanien hätte diese unterstützt.
Eines ist jedenfalls klar: Die Zeit drängt. Am 20. Juni dieses Jahres soll der Verfassungsentwurf vorgelegt werden, im Moment stehen die Zeichen nicht auf eine schnelle Einigung. Die Europäische Volkspartei und die Sozialdemokraten wollen daher einen Gang zulegen und haben am Freitag eine "Dauer-Konklave" vorgeschlagen, die Ende Mai beginnen soll.