Gastkommentar zur Finanzausgleichsreform 2017: Was bleibt vom "Einstieg in den Umstieg"?
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Mit großer Mühe ist Anfang November 2016 ein neuer Finanzausgleichspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geschlossen worden. Im Regierungsprogramm der nun geplatzten rot-schwarzen Koalition war ein großes Reformwerk geplant, das Finanzminister Hans Jörg Schelling im Strategiebericht vom April 2016 noch bestätigte: Mehr Steuerautonomie für die Länder und Gemeinden sollte es geben, ebenso das Einführen von Aufgabenorientierung bei der Verteilung eines Teils der Gemeindemittel, Aufgaben- und Verfahrenskritik bei bestehenden Aufgaben, Vereinfachungen und mehr Transparenz bei den zahllosen Zuschüssen zwischen den staatlichen Ebenen.
Herausgekommen sind dann wenig konkrete Reformen, eben bloß ein "Einstieg in den Umstieg" wie es Minister Schelling nannte: Er pries in einer Pressekonferenz am 7. November 2016 die Reformbereitschaft aller staatlichen Ebenen, sprach davon, dass "in den nächsten Monaten" Aufgabenanalysen auf allen Ebenen erfolgen würden, ein System des Benchmarkings etabliert werden solle, eine aufgabenorientierte Steuerung nach Kriterien in der Kinderbetreuung beziehungsweise Schulfinanzierung eingeführt und die Wohnbauförderung "verländert" werde".
Was alles offen geblieben ist - ein Ausstieg aus dem Einstieg?
Heute - zehn Monate nach dem großen Finale - zeigt sich, dass die paktierten Reformabsichten teils leere Versprechen geblieben sind:
Kein substanzieller Ausbau der Steuerhoheit für Länder und Gemeinden: Lediglich die Wohnbauförderungsmittel des Bundes (Ausmaß 1 Milliarde Euro, rund 5 Prozent der Mittel, die derzeit der Bund den Ländern direkt zukommen lässt) werden ab 2018 in die steuerpolitische Verantwortung der Länder übertragen; die auch im Gespräch gewesene Verländerung der motorbezogenen Versicherungssteuer - im Ausmaß von mehr als 2,2 Milliarden Euro - sowie Überlegungen einer Arbeitsgruppe für weitere Optionen konnten offenbar nicht realisiert werden.
Ebenso liegt keine Reform der total veralteten Grundsteuer vor, welche die Gemeinden zu verantworten hätten, obwohl längst diesbezügliche Modelle vorliegen (im Paktum wurde vereinbart, dass bis Mitte des Jahres 2017 eine gemeinsame Arbeitsgruppe auch eine Stärkung der Abgabenautonomie der Gemeinden durch eine Reform der Grundsteuer vorbereiten soll . . .).
Bis dato gibt es auch keine Einigung beim Einstieg in eine Aufgabenorientierung bei der Verteilung der Ertragsanteile der Gemeinden: Im Pakt wurde festgelegt, die Aufgabenorientierung im Bereich Elementarbildung (0 bis 6 Jahre) auf Basis von Leistungskriterien bis 1. September 2017 einvernehmlich vorzubereiten (mittels Verordnung) und als Pilotprojekt ab dem 1. Jänner 2018 umzusetzen. Ähnliches war auch für die Pflichtschulen ab 2019 geplant. Wie man hört, besteht keine Einigkeit über die anzuwendenden neuen Verteilungskriterien, auch die hiefür erforderliche Datenbasis wäre nicht vorhanden.
Vereinfachungen im Bereich der Bundessubventionen an Gemeinden (Finanzkraftausgleich) wurden durch Übertragen der Mittel an die Länder durchgeführt, die diese nun nach neuen Gesichtspunkten zu organisieren hätten. Dies bedeutet jedoch anstelle einer bundesweiten Regelung acht verschiedene Länderkonzepte und noch weniger Transparenz als bisher, gleichzeitig sind neue finanzielle Verflechtungen zwischen Bund und Gemeinden (neun Länderfonds für Eisenbahnkreuzungen) vereinbart worden.
Für die Bundesstaatsreform - Bund, Länder und Gemeinden sind übereingekommen, eine solche bis zum Ende des Jahres 2018 unter Berücksichtigung der Arbeiten des Österreich-Konvents vorzubereiten - wird die Zeit knapp. Diesbezügliche Ansätze sind bekanntlich alle seit den 1990er Jahren am Dissens gescheitert, heuer ist noch nicht einmal eine Arbeitsgruppe für die Arbeit an den Vorschlägen eingesetzt worden.
Wie ist dieses Scheitern der Reformabsichten des Finanzministers zu erklären? Schon beim Beschluss des Finanzausgleichsgesetzes 2017 war die Skepsis von Parlamentariern und Experten unüberhörbar, weil für mehrere Reformen nur Absichtserklärungen bestanden. Sie wurde jedoch von den Mehrheitsparteien zurückgewiesen. Die ausgebliebene Umsetzung der meisten Reformabsichten zeigt jedoch, dass die beschworene Bereitschaft hierfür bei den Ländern und/oder den Gemeinden nicht gegeben war. Dafür wird wieder einmal der Unwille für Veränderungen als Erklärung bemüht, ebenso das Besitzstandsdenken der Länder und Gemeinden. Aber diese Haltungen sind längst bekannt und müssen eben politisch berücksichtigt und - zum Beispiel durch vertrauensbildende Maßnahmen und durch gemeinsame Ziele - überwunden werden.
Es fehlt eine grundlegende politische Strategie
Die Ursachen liegen aber wohl tiefer; eine davon ist das Fehlen einer grundlegenden politischen Strategie des Finanzministers und der gesamten Bundesregierung. Das Ziel einer solchen Strategie wäre es, die föderalen Beziehungen von unzeitgemäßem Macht- und Hierarchiedenken zu befreien, durch politische Kooperation im Sinne der Bürger, die auf öffentliche Leistungen angewiesen sind, zu ersetzen und durch rationale Koordination zur Behauptung der Republik in der globalen Konkurrenz sowie zur Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensqualität in den Bundesländern und Teilregionen zu dynamisieren.
Eine andere Ursache liegt wohl im zu engen begrifflichen Verständnis von "Finanzausgleich" bei den beteiligten Akteuren. Nur die öffentlichen Mittel zu verteilen ohne Bezüge zu den Aufgaben (wie Nachholbedarf, Integration zugewanderter Personen, Vermeiden von Parallelförderungen und anderes), zu aufgabenbezogenen Innovationen (etwa bezüglich vorbeugender Maßnahmen im Gesundheits- und Klimaschutzbereich), bleibt Stückwerk. Hierfür ist eine koordinierte Politik im föderalen Staat erforderlich, die verschiedene Aufgaben und deren Finanzierung gleichzeitig steuern muss.
Auch das teils unübersichtliche System des Finanzausgleichs gilt es zu beachten und vor allem zu reformieren. Da gibt es das bundesgesetzliche Finanzausgleichsgesetz, dann die Länderfinanzausgleiche, die einen maßgeblichen Teil der Beziehungen zwischen Ländern und Gemeinden über eine Vielzahl von Landesgesetzen, teils auch über Richtlinien regeln. Weiters bestehen für einige Bereiche der öffentlichen Infrastruktur (wie Krankenhäuser, Wasserversorgung oder Abwasserbeseitigung) eigene Fonds zur Schaffung von Investitionen, die von allen staatlichen Ebenen finanziert werden.
Folglich ist zu empfehlen, die Weiterentwicklungen des Finanzausgleichs ganzheitlich im Sinn der Integration der einzelnen Elemente des Systems und der Kohärenz der Finanzierungsmodi zu sehen. Damit würden sowohl bestehende als auch neue Aufgaben und ihre Wirkungen und/oder zu erbringende Leistungen, ebenso die dafür erforderlichen Ausgaben und Einnahmen, erfasst sein. Solches Vorgehen ist zwar nicht unbekannt, wird jedoch nur in einzelnen Verträgen zwischen Bund und Ländern (jedoch nicht mit den Gemeinden) gehandhabt, so zum Beispiel hinsichtlich des Ausbaus der Kinderbetreuung oder der Zielsteuerung im Gesundheitswesen.
Innovationsbedarf für die Finanzausgleichspolitik
Es ließen sich noch andere Voraussetzungen für eine reformierte Finanzausgleichspolitik in Österreich anführen. So etwa die Notwendigkeit, die Wirkungs- und Leistungsorientierung des öffentlichen Handelns, die beim Bund und sonst nur im Land Steiermark hinsichtlich der Festlegung von Wirkungs- und Leistungszielen praktiziert wird, in die Finanzausgleichspolitik zu übernehmen.
Damit würden bei Aufgaben, die von mehreren Ebenen im Staat erfüllt werden (so im Bildungs-, Gesundheits-, Pflegebereich und im öffentlichen Verkehr), gleiche Vorstellungen über die Ziele und über Planungs- und Umsetzungsverfahren angewendet werden, was ebenso die Koordinierung der Maßnahmen ordentlich erleichtern könnte.
Auch die Konzepte und Instrumente der "Mehrebenensteuerung", wie sie in anderen Staaten längst angewendet werden, sowie der Einsatz der "weichen" Schlüsselfaktoren für öffentliches Handeln sind aufzugreifen. Sie betreffen nicht nur die Bereitschaft zu empathischem, solidarischem und demokratischem Agieren der Vertreter des öffentlichen Sektors, sondern auch den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen zwischen den öffentlichen Akteuren. Solche Innovationen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Treue zu den Grundwerten beziehungsweise den Zielen der Republik zum Nutzen ihrer Bürger.
Helfried Bauer ist Finanzwissenschafter, Autor zahlreicher Beiträge zur Reform des Finanzausgleichs und zu Public Management.