"Rückhalt in Partei enorm wichtig." | Gastinger an OGH-Präsident: Diversion hat sich bewährt. | Hauptverfahrensreform nächstes großes Projekt. | "Wiener Zeitung": Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird am 11. Jänner eine rot-schwarze Regierung angelobt. Kommt Wehmut auf?
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Karin Gastinger: Nein, ich bin vor allem dankbar, dass ich überhaupt die Möglichkeit bekommen habe - das war ja keineswegs selbstverständlich. Und für mich war immer klar, dass jedes politische Amt nur auf Zeit ist.
Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach der Politik?
Ich möchte jetzt einmal eine gewisse Zeit mit meinem Sohn verbringen und die Angebote, die ich aus unterschiedlichsten Bereichen habe, in Ruhe sichten.
Der scheidende Präsident des Obersten Gerichtshofs, Johann Rzeszut, hat in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" heftige Kritik an der Diversion geübt. Damit werde die staatliche Kernaufgabe der Rechtspflege schrittweise privatisiert und so die Schaffung und Erhaltung von Rechtsbewusstsein unterlaufen.
Präsident Rzeszut ist ein gestandener Strafrechtler - und hier hat er auch Großartiges geleistet. Aber bei diesem Thema teile ich seine Auffassung nicht. Es stimmt, dass seit der Einführung der Diversion die Tendenz bei Vermögensdelikten zwischen 1999 und 2004 gestiegen ist, mittlerweile sinkt diese jedoch wieder. Hier besteht für mich kein Zusammenhang mit der Diversion, sondern mit der Ostöffnung. Es ist auch bezeichnend, dass wir bei den Einbruchsdelikten, die nicht der Diversion unterliegen, eine Steigerung von 76.000 auf 115.000 Fälle verzeichnet haben. Im Bereich der Ladendiebstähle, wo Diversion möglich ist, sind die Anzeigenzahlen dagegen stabil geblieben.
Die Diversion bleibt also?
Ja, die Diversion hat den Vorteil, dass sich der Täter mit seiner Tat und dem Opfer auseinandersetzen und sogar Schadenersatz leisten muss. Diese Auseinandersetzung ist gerade für jugendliche Täter wichtig, denn die glauben oft, wenn sie mit einer bedingten Geldstrafe davon kommen, dass sie einen Freispruch erhalten haben, weil sie die bedingte Strafe nicht spüren. In Summe ist die Diversion ein wichtiges Instrument, das sich in der Praxis auch bewährt hat und weiter ausgebaut werden sollte.
Für welche Bereiche?
Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Modellversuch gemeinnützige Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe gemacht. Das sollte man ausbauen. Beim elektronischen Monitoring, also der elektronischen Fußfessel, könnte man sich überlegen, ob man das nicht mit einem elektronischen Hausarrest als Alternative zum Strafvollzug verbindet.
Die Strafprozessreform, die 2008 in Kraft tritt, bezeichnet Rzeszut als "lupenreine Renaissance des Inquisitionsprinzips" von vor 1848. Damit werde die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Trennung zwischen dem, der einen Vorfall untersucht, und demjenigen, der darüber urteilt, unterlaufen.
Das klingt ja nach Wiedereinführung der Hexenverfolgung - und das ist die Strafprozessreform ganz sicher nicht. Faktum ist, dass sich die Experten sehr intensiv mit diesem Problem beschäftigt haben. Jetzt ist die Entscheidung gefallen und sie ist zu akzeptieren. Faktum ist auch, dass die meisten unserer Nachbarn ein ähnliches System bereits haben. Entscheidend wird sein, wie die Reform in der Praxis funktioniert. Ich halte es nicht für sinnvoll, bevor noch eine neue Regelung in Kraft ist, zu sagen, diese werde nicht funktionieren. Ich bin überzeugt, dass es funktionieren wird.
Justizpolitik ist bei den Koalitionsverhandlungen kein großes Thema. Wo sehen Sie den größten Reformbedarf.
Als nächstes muss sicher die Hauptverfahrensreform angegangen werden. Hier muss man auch über die Einbindung der Laiengerichtsbarkeit diskutieren, vor allem über eine Begründungspflicht bei Urteilen von Geschworenengerichten. Mein Herzensthema ist natürlich das Familienrecht: Hier ist eine Anpassung an die neuen Lebenssituationen überfällig. Kommen muss auch das Mobiliarpfandrecht, damit ähnlich wie beim Grundbuch bewegliche Güter verpfändet werden können. 2011 wird das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch 200 Jahre alt, man sollte sich anschauen, ob wirklich alles noch zeitgemäß ist.
SPÖ und ÖVP haben sich im Ö-Konvent auf eine Verringerung der Gerichtsebenen von vier auf drei geeinigt. Welche soll gestrichen werden?
Manche Bezirksgerichte sind noch immer zu klein. Ziel sollte pro Bezirkshauptstadt ein Bezirksgericht sein. Gar nichts halte ich davon, die vier Oberlandesgerichte einzusparen und deren Agenden auf die neun Landesgerichte zu multiplizieren. Das macht keinen Sinn. Und realpolitisch wird es kaum durchsetzbar sein, die neun Landesgerichte abzuschaffen. Dem wird kein Landeshauptmann je zustimmen.
Sie sind wegen des Anti-Ausländerkurses aus dem BZÖ ausgeschieden. Parteichef Westenthaler will nach dem enttäuschenden Wahlergebnis außerhalb Kärntens das BZÖ nun als rechtsliberale Partei der Leistungsträger positionieren. Fühlen Sie sich bestätigt?
Mein Gott ja, aber wem nützt das jetzt?
Sollte ihr Nachfolger einer Partei angehören oder parteifrei sein?
Das Justizressort ist ein ungemein wichtiges Ministerium - gesellschafts- wie wirtschaftspolitisch. Wenn der nächste Minister wirklich Reformen umsetzen will, ist es von Vorteil, wenn er Teil einer Regierungspartei ist und so ihren Rückhalt hat. Wenn er nur das Ressort gut verwalten will, tut er sich als Parteifreier leichter.