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Es gibt in der V. Republik Frankreichs so etwas wie eine historische Kontinuität: Plant der Staat eine Sozialstaatsreform, geht das Volk auf die Straße. Die Gewerkschaften rufen zum Streik auf und legen das öffentliche Leben lahm, die Regierung muss auf Druck der Gewerkschaften zurückweichen. Aus der Reform wird dann ein Reförmchen oder ein endgültiger Rohrkrepierer, und alles bleibt beim Alten. Die um ihre Privilegien fechtenden Splittergruppen haben die Oberhand. So geschah es 1995 bei der Rentenreform unter Ministerpräsident Alain Juppé, 2006 beim "Contrat première embauche", der durch Proteste zu Fall gebracht wurde oder jetzt bei der Arbeitsmarktreform.
Die stark dezimierte, aber kampagnen- und kampferprobte Gewerkschaft CGT rief zum Streik auf: Lokführer der RATP und SNCF (die mit Mitte 50 in Pension gehen) sowie Mitarbeiter in Atomkraftwerken legten die Arbeit nieder, in mehreren Gemeinden, darunter in Tulles, dem Heimatort von Präsident François Hollande, kam es zu Stromausfällen. Die Streikenden blockierten im ganzen Land Raffinerien, was zu Engpässen in der Benzinversorgung führte. An den Tankstellen wurde der Treibstoff rationiert, Autofahrer standen Schlange.
Es waren Szenen, die man eher in einem Entwicklungs- als in einem Industrieland vermuten würde. Doch der unerbittliche CGT-Chef Philippe Martinez will der Regierung um jeden Preis Zugeständnisse abringen. Diese Alles-oder-Nichts Strategie hat Erfolg: Die ersten Regierungsmitglieder fordern bereits Korrekturen an dem Gesetzestext; die Arbeitsmarktreform droht nun zu scheitern.
Der Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes und Vizeparteichef der Republikaner, Laurent Wauquiez, brachte diese institutionelle Blockade in einem Interview mit dem "Journal du Dimanche" auf den Punkt: "Man beginn mit einer simplen Idee, der Vereinfachung des Arbeitsrechts, um Einstellungen zu erleichtern. Und dann geht man hinaus mit einem Gesetz, das einer Ente ohne Kopf ähnelt, die in den Schlachthof läuft. Weil sie Angst hat, enthauptet die Regierung in dem Gesetzentwurf alles, was ein Minimum an Sinn hatte, und um sich zu entschuldigen, dass sie ein paar Tage nur den Funken von Mut hatte, erkauft sie sich mit ein paar korporatistischen Maßnahmen das Stillhalten der CGT."
Das Zitat zeigt deutlich Frankreichs Strukturfehler: Während die Gewerkschaft Zeter und Mordio schreit, zückt Präsident Hollande das Scheckbuch und verspricht neue Wohltaten. Und das, obwohl der Staatshaushalt chronisch defizitär ist und die Regierung nur mit Mühe die Maastricht-Kriterien erfüllt. Dabei täte eine Reform dringend Not. Der Arbeitsmarkt ist erstarrt, die Steuer- und Abgabenlast erdrückend. Ein Winzer in der Champagne, der gerne seinen Betrieb vergrößern würde, scheut vor einer Neueinstellung zurück, weil er die Sozialabgaben nicht schultern kann. Stattdessen muss er Vermögensteuer entrichten, auch wenn er nur ein paar Hektar Land bewirtschaftet. Das Wachstum wird im Keim erstickt.
Diese Fehlanreize müssen schleunigst korrigiert werden, will sich Frankreich aus der Krise manövrieren. Doch statt zu reformieren, wird das Land von einer minoritären Gewerkschaft lahmgelegt, deren ewiggestriger Gewerkschaftschef in eine tradierte Klassenkampfrhetorik verfällt und sich in ein Wolkenkuckucks-Heim der 32-Stunden-Woche zurückträumt.
Frankreich braucht dringend eine Reform des Arbeitsrechts, sonst droht das Wachstum im Keim erstickt zu werden.