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Xis Vision: Ideologische Konformität gepaart mit Marktliberalismus.
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Peking. "Wir werden niemals ein westliches politisches System kopieren." Mit diesen Worten verabschiedete sich der scheidende Staatspräsident Hu Jintao beim 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im letzten November, um die Macht an seinen Nachfolger Xi Jinping zu übergeben. Dieser scheint sich der Direktive mit Verve anzuschließen, wie ein an die Öffentlichkeit gelangtes Weisungspapier zeigt. Mehrere Parteikomitees haben Auszüge aus dem Dokument "Über die Situation der ideologischen Sphäre" veröffentlicht, das aus dem Generalbüro des Zentralkomitees und damit dem Herzen der Parteiführung kommen soll.
Darin heißt es, dass das Land mit sieben ideologischen Bedrohungen konfrontiert sei, die es mit allen Mitteln zu unterbinden gelte und über die nicht gesprochen werden solle. Die Beamten und Behörden müssten "die Gefahren, die durch Ansichten und Theorien des Westens ausgehen, in ihrer Gesamtheit verstehen und die Verbreitung fehlerhafter Gedankenströme unterbinden". Als Gegenmaßnahmen werden empfohlen: "Verstärkte Regulierung des Internets und eine verbesserte Führung der öffentlichen Meinung, um den gesetzlosen Elementen keine Möglichkeit zu geben, sich auszubreiten."
Die Auszüge aus dem Papier werden zwar nicht explizit angeführt, allerdings weisen Aktivisten darauf hin, dass zu den sieben "gefährlichen" Ideen Pressefreiheit, Bürgerrechte und juristische Unabhängigkeit zählen sollen. Auch über die historischen Fehler der Kommunistischen Partei dürfe nicht gesprochen werden. Die Weisung soll auch an die Medien und Universitäten ergangen sein, doch schon wenige Stunden nach der Veröffentlichung einzelner Auszüge im Internet wurden sie von den Zensoren wieder gelöscht - was die Nervosität der Behörden zeigt. Dabei steht in dem Papier nichts, was nicht schon bekannt gewesen wäre. Bereits im Dezember erklärte Chinas neuer Staatschef Xi, das Land müsse aus den Fehlern der Sowjetunion lernen, die durch die politische Disziplinlosigkeit unter Michail Gorbatschow zugrunde gegangen wäre. Und erst kürzlich meinte er bei einem internen Treffen, dass die Kommunistische Partei Chinas nicht überlebt hätte, wenn sie Mao Zedong ebenso verdammt hätte, wie es die späte Sowjetunion mit Stalin gemacht habe.
Beruhigungspille
für die Konservativen
Offensichtlich scheint der Zerfall des einstigen Imperiums einen tiefen Eindruck bei Xi Jinping hinterlassen zu haben. Sein erster Staatsbesuch dürfte nicht ganz zufällig Russland gegolten haben. Und er scheint entschlossen, den alleinigen Herrschaftsanspruch der KP Chinas trotz der angekündigten Reformen zu bewahren. Die Forderung nach ideologischer Konformität und der Hinweis auf angeblich schädliche Strömungen aus dem Ausland sollen Erwartungen nach politischer Liberalisierung dämpfen. Denn eines ist Xi Jinping klar: Ohne Reformen ist der von ihm propagierte "chinesische Traum" in einem schwieriger werdenden wirtschaftlichen Umfeld bald zu Ende.
Sein Premierminister Li Keqiang kündigte daher Anfang der Woche an, den politischen Zugriff auf die Marktwirtschaft lockern zu wollen, um "die Kreativität der Marktteilnehmer zu fördern und gleichzeitig die Transformation der Verwaltung zu beschleunigen". Er rief die Behörden dazu auf, unnötige Machtbefugnisse und Geschäftsführerbereiche zu delegieren, um sich auf die Kernaufgabe der staatlichen Verwaltung und auf Bürgerservice zu konzentrieren. Bis zum Dritten Plenum des 18. Parteikongresses im Oktober soll eine Blaupause für "tiefgreifende Reformen" vorliegen. Diese Vollversammlung hat symbolischen Charakter und Signalwirkung: Das Dritte Plenum des 11. Parteikongresses war 1978 der Startschuss für die Reform- und Öffnungspolitik, die China für immer verändern sollte.
Den konservativen Kreisen des linken Parteiflügels gehen diese Schritte jedoch zu weit. Das aktuelle Weisungspapier dürfte wohl auch ein Signal an sie sein, dass die traditionellen Werte der Partei auch in Zukunft hochgehalten werden. Angesprochen sollten sich auch die USA fühlen, zu denen die Beziehungen nach gegenseitigen Anschuldigungen - Stichwort Cyberangriffe, Pazifik-Strategie - derzeit auf einem historischen Tiefstand liegen.