Kaum zu glauben, aber im dramatischen Wettrennen, wer zuerst die programmatische Zukunft erobert, hat die ÖVP die Nase vor der SPÖ.
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Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Für die Kritiker der ÖVP gilt das legendäre Bonmot des Satirikers F. W. Bernstein in einem ganz besonderen Ausmaß. Diesen bemerkenswerten und nicht unwitzigen Umstand sollte man im Auge behalten, wenn jetzt allerorten der feierliche Beschluss eines neuen ÖVP-Parteiprogramms zu Standortbestimmungen für die hiesigen Bürgerlichen zum Anlass genommen wird. Die hartnäckigste Forderung nach einer Neugründung der Volkspartei ist etwa das Mantra Erhard Buseks, seines Zeichens Bundesobmann der ÖVP von 1991 bis 1995; und auch ein Gutteil der Neos, die 2013 angetreten waren, die bessere ÖVP zu werden, erlebte die politische Initiation direkt oder indirekt aufseiten der Volkspartei.
Die andere Hälfte der Kritiker kommt aus dem Lager der politischen Gegner der Schwarzen. Während die Nörgler aus dem eigenen Nest darunter leiden, was die ÖVP alles nicht mehr oder noch nicht ist - eine wirtschaftspolitische Erneuerungskraft mit einem Schuss gesellschaftspolitischem Konservativismus -, hadern die politischen Mitbewerber damit, was die Volkspartei in ihren Augen noch immer ist - Agent von Wirtschaftsinteressen und Bollwerk eines überkommenen Gesellschaftsbilds.
In Stunden heftigerer Selbstzweifel - solche gab es einige - fragten sich sogar eingefleischte Schwarze, ob nicht die einen oder anderen ihrer Kritiker nicht doch recht haben könnten. Zumal ja auch die Erosion am Wählerstimmenmarkt gefährlich nahe an die 20-Prozent-Marke signalisierte, dass der Anspruch auf das Etikett "Volkspartei" demnächst passé sein könnte. Immerhin verschaffte wenigstens ein Blick auf die Lage des Koalitionspartners verlässlich emotionale Erleichterung in solch düsteren Momenten: Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Nichts verschafft Roten wie Schwarzen sicherer Linderung, als die Gewissheit, dass es dem jeweils anderen nicht nur nicht besser, sondern hoffentlich sogar noch schlechter geht.
Aber mit Schadenfreude allein lässt sich auf Dauer der eigene Zustand nicht nachhaltig schönreden. Und ein Reformprogrammprozess ist nicht die schlechteste Möglichkeit, wieder einmal mit den eigenen Mitgliedern eine direkte Kontaktaufnahme zu versuchen. Dass eine Funktionärsschicht, die bei SPÖ und ÖVP nach wie vor in die Zehntausende geht, auch in Zeiten virtueller Kommunikation einen Schatz von geradezu unschätzbarem Wert darstellt, hat sich mittlerweile ja wieder in den Köpfen der Parteiführungen durchgesetzt. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass in diesen Kreisen die eigenen Mitgliederscharen als peinliche Zeichen der eigenen Uncoolness galten und deshalb als Klotz am Bein betrachtet wurden, der bei den Inszenierungen als postmoderne Erfolgsbewegung nur hinderlich ist.
Die Liveberichterstattung vom schnellen Sterben einst großer Parteien in Europa hat den Vorteil, dass SPÖ und ÖVP ihre eigene Vergänglichkeit recht anschaulich vor Augen geführt wird. Ein Ausblick auf die Möglichkeit des eigenen Untergangs hat nicht selten das Zeug, genau das durch rechtzeitiges Einlenken zu verhindern. Ob den beiden Regierungsparteien das durch ihre Reformprozesse gelingt, wird sich 2018 zeigen.