Zum Hauptinhalt springen

Regeln und Flexibilität in der Geldpolitik

Von Ewald Nowotny

Gastkommentare
Univ. Prof. Dr. Dr. h.c. Ewald Nowotny ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Von September 2008 bis August 2019 war er Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und Mitglied des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB). Er war Professor und Vize-Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), an der er seit 2020 wieder unterrichtet.
© OeNB

Die EZB erreicht ihr offizielles Preisstabilitätsziel schon seit einigen Jahren nicht mehr.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Geldpolitik hat die schwierige Aufgabe, auf Basis demokratisch legitimierter Regeln langfristig Vertrauen zu sichern und gleichzeitig flexibel auf wirtschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Für die Europäische Zentralbank (EZB) gilt als grundlegende Regelung das vorrangige Ziel, die Preisstabilität zu sichern. Diese politische Zielsetzung der EZB steht außer Streit. Sensibel ist dagegen die Frage, wie Preisstabilität konkret zu definieren ist.

Bei der Gründung der EZB wurde Preisstabilität verstanden als eine Inflationsrate unter 2 Prozent. 2003 erfolgte durch den EZB-Rat eine Klarstellung, wobei seither das Preisstabilitätsziel definiert wird als eine Inflationsrate nicht über, aber nahe bei 2 Prozent über die mittlere Sicht. Damit wurde auch eine Untergrenze für das Inflationsziel eingeführt, um Deflation - also ein Sinken des Preisniveaus - zu verhindern.

Seither ist ein massiver struktureller Wandel in Bezug auf die weltweite und europäische Inflationsentwicklung zu beobachten. Zum einen gibt es keine substanzielle Gefahr und Erwartung einer deflationären Entwicklung. Zum anderen gibt es aber sehr wohl einen weltweiten Trend zu niedrigen Inflationsraten. Dahinter stehen Globalisierungseffekte, strukturelle Änderungen am Arbeitsmarkt und eine Vielzahl weiterer Faktoren.

Für die EZB bedeutet das, dass sie ihr offizielles Preisstabilitätsziel nicht nur in den Krisenjahren 2009 und 2010, sondern auch seit 2012 nicht mehr erreicht. Für 2020 liegt die Erwartung der Märkte bei einer Inflationsrate von rund 1 Prozent, mittelfristig bei 1,2 Prozent.

Die Stabilisierung von Inflationserwartungen ist für Notenbanken von entscheidender Bedeutung für die Erfüllung ihres Mandates - Änderungen in Bezug auf Stabilitätszielsetzungen sollten daher selten und mit großer Vorsicht vorgenommen werden. Es ist für die Glaubwürdigkeit einer Notenbank auch problematisch, einem Ziel nachzujagen, das sie aus strukturellen Gründen langfristig verfehlt, und dafür ihre verfügbaren Instrumente extrem zu beanspruchen.

Die Problematik der Preisstabilitätszielsetzung wird einen wichtigen Bereich eines künftigen "Policy Review" der EZB darstellen. Ausgangspunkt muss dabei ein klares Bekenntnis zum Mandat der Sicherung der Preisstabilität - entsprechend den EU-Verträgen - sein, wobei sich eine Inflationsobergrenze von
2 Prozent über die mittlere Sicht als internationale Norm etabliert hat. Zu diskutieren ist die Frage der relevanten Flexibilität. Hier sind meines Erachtens zwei Wege denkbar. Zum einen eine Rückkehr zur Stabilitätszielsetzung von 1998, also eine Inflationsobergrenze von 2 Prozent ohne eine explizite Untergrenze. Eine andere Möglichkeit ist ein Inflationsziel von 2 Prozent plus einem Toleranzband von zum Beispiel 1 bis 3 Prozent. Dies entspricht der Fassung, die etliche Notenbanken außerhalb der Eurozone entwickelt haben.

Entscheidend ist aber, dass sich die EZB von der selbst gestellten Verpflichtung löst, eine quasi permanent expansive Geldpolitik zu betreiben, die zunehmend an ökonomische und unter Umständen auch juristische Grenzen stößt.

Eine Langfassung des Textes ist als Policy Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) erschienen: www.oegfe.at/policybriefs