Zum Hauptinhalt springen

Reggae für die Revolution

Von Klaus Huhold

Politik

Der Musiker Sams’K Le Jah war maßgeblich am Sturz von Burkina Fasos Langzeitherrscher beteiligt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Zuerst kamen die anonymen Morddrohungen, dann brannte sein Auto. Er habe Angst verspürt, sagt Sams’K Le Jah. "Aber Aufgeben kam nicht in Frage." Das hat viel damit zu tun, dass der Mann aus Burkina Faso Reggaemusiker ist. "Und beim Reggae geht es um Bewusstsein, um Revolution, darum, dass du für deine Rechte kämpfst", sagt der Künstler, der mit bürgerlichem Namen Karim Sama heißt.

Schließlich siegte die Revolution. Im Herbst 2014 zwangen Demonstranten, die sich auch von tödlichen Schüssen des Militärs nicht aufhalten ließen, Burkinas Langzeitherrscher Blaise Compaoré zum Rücktritt. Sams’K Le Jah hatte mit seine Liedern und als Radiomoderator jahrelang gegen Compaoré und das von ihm repräsentierte System gekämpft - gegen diese Mischung aus Demokratie und Repression, bei der es zwar Wahlen gab, aber politische Gegner eingeschüchtert wurden, wovon die Todesdrohungen gegen Sams’K Le Jah zeugen.

Das Unrechtsbewusstsein des Mittvierzigers wurde schon früh geschärft. Aufgewachsen in der Elfenbeinküste, erlebte er, wie die armen Gastarbeiter aus seiner Heimat als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden, wie sie die Polizei drangsalierte, sie willkürlich ins Gefängnis warf und die Hand für Schmiergeld aufhielt. "Dass unsere Eltern mit so wenig Respekt behandelt wurden, war empörend", sagt Sams’K Le Jah.

Ihren Stolz, so sagt er, hielten die Burkinabe von Thomas Sankara zurück. Der Sozialrevolutionär aus der Armee kam 1983 durch einen Staatsstreich an die Macht, nannte das Land, das damals noch Obervolta hieß, in Burkina Faso - das Land der Aufrechten - um und machte den Namen zum Programm. Sams’K Le Jah kehrte mit seinen Eltern in seine Heimat zurück und fand eine hochpolitisierte Gesellschaft vor. "Jeden Morgen skandierten wir Slogans gegen die Apartheid in Südafrika in der Schule, es gab antiimperialistische Tage, und alles, was mit Afrika zu tun hatte, war Thema", berichtet Sams’K Le Jah, der auf Einladung des Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit in Österreich zu Gast war.

Unter Sankara gab es eine Alphabetisierungs- und Impfkampagne, die Frauenbeschneidung wurde verboten - doch 1987 wurde er weggeputscht und ermordet. Es folgten die 27 bleiernen Jahre unter Compaoré, in der sich ein innerer Zirkel um den Präsidenten bereicherte, während es für die Jugend in dem bitterarmen Land wenig Arbeit und keine Perspektive gab.

Das Erbe von Sankara

Es war die Zeit, in der Sams’K Le Jah aufgefordert wurde, seine Dreadlocks abzuschneiden, damit er nicht seinen Job als Lehrer verliert, in der der Musiker kein Restaurant mehrmals hintereinander besuchte, nachdem er als Radiomoderator das Regime offen kritisiert hatte. "Dieser Präsident, dieser Präsident, er muss gehen... und er wird gehen", sang Sams’K Le Jah in dem Song "Ce Président Là", den er 2011 schrieb. Das Lied kostete ihn seinen Job als Moderator: "Der Besitzer der Radiostation war ein Geschäftsmann und er wollte sich nicht von diesem Rastatypen sein Business verderben lassen", erzählt der Musiker heute mit einem Lachen.

Sams’K Le Jah tourte daraufhin durch das Land, gab Konzerte, führte politische Diskussionen. Gemeinsam mit dem Rapper Serge Bambara alias Smockey gründete er 2013 die Organisation "Le Balai Citoyen", was sich mit "Bürgerbesen" übersetzen lässt. Die Bürger sollten endlich für Reinheit in der Politik sorgen. Die Organisation bekam viel Zulauf und war eine der Speerspitzen bei den Massendemonstrationen 2014, durch die Compaoré gestürzt wurde - und der Song "Ce Président Là" wurde zu einer der Hymnen der Revolution.

Heute wird Burkina Faso von einer Übergangsregierung gelenkt, im Oktober sollen dann Parlamentswahlen stattfinden. Für "Balai Citoyen" - "eine Bewegung der Bürger für die Bürger", wie Sams’K Le Jah sagt - ist die politische Arbeit noch lange nicht beendet, man will den Transformationsprozess genauestens beobachten. Bei den Wahlen werden Aktivisten der Organisation in den Wahlbüros darauf achten, dass das Votum korrekt verläuft. Wenn ein Politiker wieder zu viel Macht an sich reißen will, wird "Balai Citoyen" sofort auf der Straße sein.

Doch das Wichtigste und Wesentliche ist für Sams’K Le Jahetwas anders: "Unser Traum ist es, Millionen Thomas Sankaras im Land zu haben", sagt er. Das bedeutet: "Menschen, die ihre Heimat lieben und für sie kämpfen, Menschen, die einander respektieren." Vom Universitätscampus bis zum abgelegensten Dorf touren die Vertreter von "Balai Citoyen" durch das Land, führen Dialoge mit den Bürgern, wie sie sich ihre politische Zukunft vorstellen, sprechen mit ihnen über ihre Rechte und darüber, dass sie selbst das Land gestalten können. Entscheidend sei das politisches Bewusstsein, sagt Sams’K Le Jah. Dieses sorge dann auch für die Institutionen und Strukturen, die dem Land entsprechen, meint er.

Modell für ganz Afrika

In der historischen Debatte wird Sankara zwiespältig gesehen: Einerseits gilt er als sozialrevolutionärer Held, der für die Geknechteten kämpfte. Andererseits verweisen seine Kritiker darauf, dass er mit der Zeit immer autoritärere Züge annahm. Wie sich seine Regentschaft weiterentwickelt hätte, wenn er nicht gestürzt und getötet worden wäre, lässt sich nicht sagen. Klar ist aber, dass heute unzählige Burkinabe und Menschen in ganz Afrika Sankara als Verkörperung ihrer Ideale sehen.

Und so könnte die Wirkung von Bewegungen wie "Balai Citoyen" weit über ihr Heimatland hinausreichen. Im Senegal wurde mit "Y’en a Marre" (Mir reicht’s) schon 2011 eine ähnliche Initiative gegründet. Vertreter der beiden Organisationen knüpfen Kontakte auf dem ganzen Kontinent, waren kürzlich im Kongo und wurden dort auch gleich verhaftet. "Als Musiker reise ich durch ganz Afrika, und wenn ich etwa mit jungen Menschen rede, merke ich, dass ihre Probleme in verschiedenen Ländern die gleichen sind", sagt Sams’K Le Jah. "Wir müssen uns überall zusammenschließen und für unsere Rechte kämpfen."