Die Austrian School of Government - eine Supervisorin des Öffentlichen?
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Zu Zeiten der türkis-blauen Regierung gab es das Vorhaben, eine Hochschule des Bundes zu errichten. Im Vordergrund standen die Zentralisierung von Aus- und Fortbildung sowie das Schöpfen von Synergien. Wie nicht anders zu erwarten, führte dieses Vorhaben zu (vornehm formuliert) Defensivreaktionen verschiedener Ressorts. Das energetisch nicht sonderlich hoch aufgeladene Unterfangen kam über Analyseschritte kaum hinaus.
Der nunmehrige Anlauf im Ressort des für den öffentlichen Dienst zuständigen Vizekanzlers Werner Kogler von den Grünen, anstelle einer neuen Institution eine innovative Plattform, die Austrian School of Government (ASG), als Drehscheibe für Bildungsaktivitäten zu schaffen, ist daher zu begrüßen. Es besteht abgesehen von der Verwaltungsakademie des Bundes eine vielfältige Landschaft von Bildungseinrichtungen in den einzelnen Ressorts und den Gebietskörperschaften. Im Bereich der Universitäten und Fachhochschulen gibt es eine Reihe von auf den öffentlichen Sektor beziehungsweise auf Public Management spezialisierte Institute und auch mehrere Studienangebote. Teilweise geht es in diesem reichhaltigen Bereich nicht nur um wissenschaftlich fundierte Bildungsangebote, sondern auch um forschungsbasierte Aktivitäten im Bereich der Organisationsentwicklung. Die ASG soll eine Servicefunktion haben, Bildungsangebote entwickeln, Leitlinien erstellen und koordinierend wirken.
Es ist relativ leicht zu benennen, woran die ASG scheitern kann: Die verschiedenen Ressorts haben gegenüber den Mitwirkungsrechten des Beamtenministeriums in Personalangelegenheiten und denen des Finanzministeriums in finanziellen Angelegenheiten ein ambivalentes Verhältnis und legen Wert auf möglichst große Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb ihrer mehrfach begrenzten Möglichkeits- und Entscheidungsräume. Wenn die Ressorts die ASG als imperialistische Macht erleben, die vornehmlich zusätzliche Berichtspflichten, Vorgaben, Standards und Kontrollmaßnahmen definiert sowie vorschreibt und somit Gestaltungsmöglichkeiten einengt, werden die Ressorts mehr oder weniger auf bewährte Rezepte zurückgreifen, die da lauten: Ungewolltes abwehren oder bis zur Unkenntlichkeit kleingearbeitet umsetzen, formal kooperieren, hinter dieser Fassade jedoch das gewohnte Geschäft weiter betreiben und Innovationen so weit wie möglich unter der Decke halten.
Vielseitige Moderationsrolle
Die gegenläufige Vision einer lebendigen Denkstätte, einer geschäftigen Werkstatt kann sich durchaus an vorhandenen Hintergrundfolien orientieren. Die ASG könnte nicht nur bei Bildungsangeboten, sondern auch in den Bereichen von Personal- und Organisationsentwicklung im öffentlichen Sektor das betreiben, was der Systemtheoretiker Helmut Willke als "Supervision des Staates" bezeichnet. Er meint damit nicht, dass der Staat im engeren Sinne die professionalisierte Beratungsform Supervision anbietet, sondern beschreibt eine vielseitige Moderationsrolle. Der supervidierende Staat erhöht in einer vielfältigen und diversen Gesellschaft deren Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, zur Reflexion, zu weiterführenden Austauschprozessen, zum Entstehen einer gemeinsamen Identität, zu gemeinsam geteilten Sichtweisen und Verbindlichkeiten. Im systemischen Jargon formuliert, handelt es sich um eine dezentrale Kontextsteuerung, die auf inhaltliche Vorgaben verzichtet. Sie stellt aber Organisationsformen, Verfahrensweisen und Kompetenzabgrenzungen bereit.
In Zeiten der Pandemie, in denen der Staat hierzulande vornehmlich in einem bisher noch nicht da gewesenen Ausmaß als paternalistischer Fürsorger sowie als strenger Vormund und Zuchtmeister auftritt, mag Willkes Ansatz manchen als abgehoben erscheinen. Immerhin machen aber Public-Health-Expertinnen und Sozialwissenschafterinnen seit Beginn der Pandemie geduldig, aber wenig Gehör findend darauf aufmerksam, dass die Förderung von Graswurzel-Initiativen, die Anregung und Unterstützung von Initiativen in Gemeinden und anderen Communities sowie in konstruktiven zivilgesellschaftlichen Kontexten großes Potenzial zur Bekämpfung der Pandemie haben. In vielen Gemeinden haben Bürgermeisterinnen in Zusammenhang mit der Integration von Geflüchteten, aber nicht nur dort, praktiziert, was Willke meint: Anregen und Stimulieren von Initiativen, Vernetzen, Moderieren von Konflikten.
Im internationalen Vergleich sind die skandinavischen Länder mit vergleichsweise geringen Einschränkungen im Umgang mit Covid-19 zu besseren (Dänemark, Norwegen, Finnland) oder jedenfalls nicht schwerwiegend schlechteren Ergebnissen (Schweden) gekommen. Eine von mehreren Erklärungen ist hierfür, dass in der öffentlichen Kultur dieser Länder die Rolle des Staates jener des Willke’schen Supervisors relativ nahe ist.
Partizipativer Prozess
Die Mission der ASG könnte lauten: Wir schaffen Räume und Gelegenheiten, in einem geschützten Rahmen Erfahrungen sowohl des Erfolges wie des Scheiterns auszutauschen, aus unterschiedlichen Erfahrungen gemeinsame große Bilder entstehen zu lassen, Wege zu finden, das zu verlernen, was nicht mehr passend ist, und Optionen und Konzeptionen für derzeit und in absehbarer Zeit Passendes entstehen zu lassen. Hier kommt es nicht darauf an, auf politischen Zuruf hastig etwas auf wackelige Beine zu stellen. Es gilt vielmehr, sich der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (der Begriff VUCA wurde vom US-Militär den 1990ern entwickelt) in angemessener Form zu stellen. Dies bedeutet, sorgfältige Analyse, kräftige Zukunftsbilder und erfolgsträchtige Optionen für rasches Handeln in einem partizipativen Prozess zu entwickeln.
Um etwas konkret zu werden: Als Themenfelder, die eine ASG, durchaus auch als Pilotprojekte bereits in ihrer Entstehungsphase betreuen könnte, seien hier lediglich drei genannt:
Aufarbeitung der Lernerfahrungen während der Pandemie - nicht nur "lessons learned" im Krisenmanagement, sondern auch: Welche Stärken und Potenziale sowie andererseits Schwächen sind im öffentlichen Sektor sichtbar geworden, wohin sollen Führung, Personalmanagement, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Steuerung der Leistungserbringung und Entscheidungsprozesse hin entwickelt werden?
Wie schaffen wir es über Schulungsmaßnahmen hinaus, im "war for talents" Menschen anzusprechen, die gut ausgebildet, sozial kompetent und kreativ sind? Welche Arbeitsbedingungen (förderliche Führung, Mitgestaltungsmöglichkeiten, Transparenz auch bei Karrierepfaden) müssen wir schaffen, damit diese Menschen auch bei uns bleiben? (Bereits derzeit gibt es Bereiche, in denen das Ausscheiden der Falschen, also von Leistungsträgerinnen als Problem erlebt wird).
Als ob die beiden Themen nicht heiße Eisen genug wären: Die ASG wird auch um die Frage nicht herumkommen, ob bei gehobenen Leitungsfunktionen die Absolvierung von Lehrgängen oder Studiengängen nicht Pflicht sein sollte. Beispielsweise hat sich dieser Standard im Spitalssektor bereits weitgehend durchgesetzt. Dies würde auch den Übergängen von Ministerkabinetten in Verwaltungsfunktionen einen neuen Akzent geben.
Führungsarbeit vorleben
Gute Führungskräfte wissen, dass sie von ihren Mitarbeiterinnen im Umgang mit Kundinnen oder auch Bürgerinnen nicht mehr an sozialer Kompetenz und Ergebnisorientierung erwarten können, als sie selbst dies in ihrer Führungsarbeit gegenüber eben diesen Mitarbeiterinnen vorleben. In ähnlicher Weise gilt dies auch für die ASG. Überwinden von Silo-Denken, Co-Creation, Orientierung am "public value", Offenheit und Agilität werden sich umso eher ausbreiten, je mehr die Austrian School of Government eben diese Qualitäten als Supervisorin des Öffentlichen vorlebt.