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Regierung mit vielen Unbekannten

Von Walter Hämmerle

Politik

Mehr-ParteienKoalition scheint aussichtslos. | Grün und Blau betonen Nein zu Minderheitsregierung. | U-Ausschüsse ketten SPÖ, Grüne und FPÖ aneinander. | Die große Koalition ist tot. So lautet die allgemeine Lageeinschätzung vor dem heutigen Treffen von SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel. Die Schuld dafür suchen und finden beide Großparteien beim jeweils anderen. Sowohl bei SPÖ wie auch ÖVP rechnet man nun damit - immer vorausgesetzt, das heutige Gipfeltreffen bringt keinen Umsturz in Richtung Rot-Schwarz -, dass Bundespräsident Heinz Fischer im Laufe der kommenden zwei Wochen Gusenbauer freie Hand bei der Regierungsbildung gibt. Derzeit lautet Fischers Auftrag ja noch, eine "stabile Regierung" zu bilden, was bei der herrschenden Kräftekonstellation als Umschreibung für eine Koalition von SPÖ und ÖVP verstanden wird.


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Nicht nur ÖVP verweigert sich

Fällt das Wort "stabil" aus dem Regierungsbildungsauftrag, wäre der Weg jedenfalls frei für jede andere Konstellation jenseits von Rot-Schwarz. Theoretisch gäbe es deren mehr als genug, in der Praxis wollen jedoch Grüne, Blaue und Orange nicht zusammen an einem Regierungstisch sitzen. Zudem haben im Wahlkampf sowohl SPÖ als auch ÖVP eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen.

Man sieht: Die Schwarzen sind längst nicht die einzigen, die das Recht für sich in Anspruch nehmen, nein zu einer Regierungsbeteiligung zu sagen. Für einen Kontrapunkt sorgt lediglich das BZÖ, das am Donnerstag erneut in Erinnerung rief, eigentlich mit allen zu können, wenn es denn nur gefragt werde. Noch, so Bündnis-Obmann Peter Westenthaler, sei das jedoch nicht geschehen. Was nicht ist, kann ja noch werden. Theoretisch jedenfalls hätten auch SPÖ, Grüne und Orange eine Mehrheit im Parlament.

Derzeit wird in politischen Kreisen allenthalben mit einer SPÖ-Minderheitsregierung gerechnet. Man hält es für wenig wahrscheinlich, dass Fischer auch Noch-Kanzler Schüssel als Chef der zweitstärksten Partei mit der Suche nach einer Regierung beauftragt. Schüssel könnte allerdings ebenfalls versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden und fallweise Sachkoalitionen im Nationalrat anstreben. Aufgrund des Wahlergebnisses vom 1. Oktober hat hier jedoch Gusenbauer die Nase vor dem ÖVP-Chef.

Kaum praktikable Alternativen

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Die Alternativen zu einer Minderheitsregierung sind rar. FPÖ-Chef Strache hat beispielsweise eine Konzentrationsregierung für eine Übergangszeit vorgeschlagen, in der alle Parteien vertreten sein sollen. Warum in einer solchen Konstellation aber SPÖ und ÖVP oder Grüne mit FPÖ und BZÖ zusammenarbeiten sollten, hat er nicht erklärt. Eher nebulos auch die Idee von Tirols Landeshauptmann Herwig van Staa, der eine "beamtete Minderheitsregierung" ins Spiel brachte. Was er damit konkret gemeint hat, blieb ebenfalls im Dunkel. Bleibt noch der Klassiker aller Alternativen, die vom Bundespräsidenten beauftragte Beamten-Regierung, die immer dann auftaucht, wenn sich die Parteien in den Haaren liegen. Politisch wahrscheinlich ist aber derzeit auch sie nicht.

Wie lange überlebt Minderheitsregierung?

Bleibt die Frage, welche Lebensdauer einem roten Minderheitskabinett beschieden wäre. Sowohl Grüne als auch FPÖ betonen fast schon auffällig oft, dass sie nicht daran denken, einem Bundeskanzler Gusenbauer die parlamentarische Mauer zu machen. Dann schon lieber Neuwahlen, erklären Alexander Van der Bellen und Heinz-Christian Strache ungewohnt einmütig. Die will nur das BZÖ unbedingt vermeiden.

Heißt das aber automatisch, dass eine SPÖ-Minderheitsregierung bei der ersten Gelegenheit stürzen wird? Nicht unbedingt. Zum einen haben SPÖ, Grüne und FPÖ mit den Untersuchungsausschüssen ein gemeinsames Interesse, würden diese doch bei Neuwahlen eingestellt. Hinzu kommt, dass wer zuerst einer Minderheitsregierung das Misstrauen ausspricht, wohl das Odium der Verantwortung für Neuwahlen zu tragen hat. Der Schwarze Peter ist in den Augen der Wähler die unvorteilhafteste Spielkarte.

Trotz ihrer Ankündigungen ist es daher wahrscheinlich, dass Grüne und FPÖ ein SPÖ-Minderheitskabinett eine Zeit lang mittragen. In dieser Zeit kann die SPÖ geeignete politische Duftmarken setzen, etwa die Abschaffung der Studiengebühren, Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen, eventuell auch Einführung einer Grundsicherung etc., die in ihr politisches Konzept passen und für die es eine gesicherte Mehrheit gibt. Das wäre dann, so die Überlegungen in der SPÖ, kein schlechter Start in einen neuen Wahlkampf.

Diese Gefahr sieht man natürlich auch in der ÖVP. Klubchef Molterer bleibt da nur die Hoffnung, dass die SPÖ "diese Rechnung ohne den Wirt" gemacht habe: Auf Grüne und Freiheitliche würden erhebliche Probleme zukommen, ihren Wählern das politische Farbenboot zu erklären, in dem sie sich durch die Tolerierung einer SPÖ-Minderheitsregierung wiederfinden würden.