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"Regierung Samaras hängt an seidenem Faden"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Tsipras: "Macht es Sinn, Staatsbesitz für einen Pappenstiel zu verscherbeln?"


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"Wiener Zeitung": Das griechische Parlament hat am Mittwoch ein neues Sparpaket für die Jahre 2013 bis 2016 und am Sonntag den Staatshaushalt 2013 verabschiedet - wenn auch gegen die Stimmen von Abweichlern unter den Regierungsabgeordneten. Premierminister Antonis Samaras scheint erleichtert, Europa auch.Alexis Tsipras: Ich glaube, Herr Samaras versucht, seine wahren Gefühle zu verbergen. In Wahrheit ist Herr Samaras nicht erleichtert. Er ist in Panik. Seine Drei-Parteien-Regierung hat nach den jüngsten Wahlen im Juni noch 179 Abgeordnete gezählt. Seither sind gerade erst viereinhalb Monate verstrichen. Bei der Abstimmung über das Sparpaket am Mittwoch hat Samaras gerade noch 153 Abgeordnete hinter sich vereinen können. Das zeigt ganz deutlich: Diese Regierung hängt schon an einem seidenen Faden. Sie wird nicht lange standhalten. Denn sie will das gerade beschlossene Sparpaket jetzt umzusetzen. Das wird gewaltige Reaktionen in der Gesellschaft auslösen.

Die Regierung hebt stets hervor, sie wolle Griechenlands Glaubwürdigkeit im Ausland wiederherstellen. Sie dagegen stehen in Europa mit ihren Positionen fast alleine da. Mit Alexis Tsipras als Premierminister wäre Griechenland isoliert.

Samaras verfolgt eine völlig falsche Strategie. Sie führt schnurstracks in die Sackgasse. Eine Strategie nach dem Motto "Ich setze das um, was immer die Geldgeber-Troika von mir verlangt und gebe mich dann damit zufrieden, was immer sie mir dann zu geben gedenkt" hat schon einmal gar nichts mit dem zu tun, was Samaras vor den Wahlen versprochen hat: mit der Troika Neuverhandlungen führen. Was für eine Glaubwürdigkeit kann er denn genießen, wenn ihm binnen vier Monaten reihenweise Regierungsabgeordnete die Gefolgschaft verweigern und er bei einer derart wichtigen Abstimmung wie am Mittwoch nur noch über eine so dünne, fragile Mehrheit im Parlament verfügt? Mit der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung gegen sich wird die Regierung nicht das umsetzen können, was im Parlament verabschiedet worden ist!

Offenbar stützt Europa die Regierung Samaras.

Ich sehe das anders. Ich habe ernste Zweifel daran, dass es eine Einigung über den Weg aus der Krise zwischen der Regierung und der Geldgeber-Troika gibt. Wo sehen Sie eine Einigung, wenn selbst EU-Währungskommissar Olli Rehn sagt, dass das Griechenland-Programm nicht tragfähig sei? Ich zweifele daran, dass es einen belastbaren Plan zur Lösung der Griechenland-Krise gibt. Wir haben stets behauptet, dass dieses Programm nicht umsetzbar ist. Wir sagen das unabhängig von unterschiedlichen politischen oder ideologischen Überzeugungen.

Konkret?

Nehmen Sie das Privatisierungsprogramm. Ursprünglich war es das utopische Ziel, 50 Milliarden Euro aus den Privatisierungen zu erlösen. Jetzt sollen es 10 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren sein. Das sind 2,5 Milliarden Euro pro Jahr - gerade einmal 1,2 Prozent von Griechenlands jährlicher Wirtschaftsleistung. Macht es denn Sinn, dafür unseren Staatsbesitz zu verscherbeln? Damit Griechenland dann keine öffentliche Stromgesellschaft, Wassergesellschaft, Mineralölindustrie mehr hat? Soll Griechenland für so wenig Geld seinen gesamten Staatsbesitz verkaufen?

Wie wollen Sie die Privatisierungen verhindern ?

Der Markt selbst wird dafür sorgen. Denn kein seriöser Investor wird sein Geld ausgeben, wenn er weiß, dass die Zeit dieser Regierung, die das beschlossen hat, bereits abläuft. Eine so katastrophale Politik ist in einer bürgerlichen Demokratie wie der griechischen völlig inakzeptabel. Diese Politik könnte vielleicht in einem afrikanischen Land verwirklicht werden. Aber nicht in Europa mit seiner Rechtskultur. Dafür müssten die Verfassung und das Parlament abgeschafft werden.

Sie beharren also auf einer Frontalopposition?

Wir werden eine fruchtbare, substanzielle und realistische Opposition betreiben.

Sie fordern aber Neuwahlen. Kann sich das Hellas überhaupt leisten? Es hat doch gerade erst Doppelwahlen hinter sich?

Selbst wenn wir dies nicht fordern würden: Darauf werden wir nicht lange warten müssen. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten erfordern dies. Wir erleben in Griechenland eine humanitäre Krise. Tausende Krebskranke können nicht ihre Medikamente abholen, die Arbeitslosigkeit steuert auf die Marke von 30 Prozent zu, fast 60 Prozent der jungen Griechen haben keine Arbeit. Das kann nicht einfach so weitergehen. Daher fallen die Regierungen. Nicht weil es eine Verschwörung gegen sie gibt. So ist die Regierung Papandreou gefallen. Dann die Regierung Papademos. Dieses Schicksal wird auch die Regierung Samaras ereilen. Um das ganz klar zu sagen: Die politische Instabilität in Griechenland haben seit 2010 der Internationale Währungsfonds und die Troika verursacht - nicht Tsipras oder Syriza.

Was würden Sie als Regierungschef tun?

Die Sparpolitik muss unbedingt annulliert werden. Sie produziert Rezession, die Schuldenquote steigt, die Steuereinnahmen sinken. Wir brauchen substanzielle Neuverhandlungen mit unseren Geldgebern, um die Konditionen des Kreditvertrages unter die Lupe zu nehmen. Ferner brauchen wir einen großzügigen Schuldenschnitt für Griechenland nach dem Vorbild des Londoner Schuldenabkommens 1953 für Deutschland. Und zwar wie im Fall Deutschland 1953 mit einer Wachstumsklausel für die Begleichung der Restschuld. Zudem brauchen wir öffentliche Investitionen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Und einen neuen Marshall-Plan in Europa, um Wohlstand zu schaffen. Die Lösung für das Problem, das kein spezifisch griechisches, sondern ein europäisches ist, kann nur eine politische sein.

Der Haken ist: Berlin lehnt einen neuen Schuldenschnitt für Griechenland ab. Diesmal würde es auch den deutschen Steuerzahler treffen.

Samaras hat Ende August anlässlich seines Besuchs in Berlin bei Bundeskanzlerin Merkel versichert, dass Griechenland alle seine Schulden begleichen wird - bis auf den letzten Euro. Kürzlich hat Herr Ackermann, der Ex-Chef der Deutschen Bank, gesagt, die einzige Lösung für die Griechenland-Krise sei ein generöser Schuldenschnitt. Ich frage Sie: Wem würden Sie glauben? Wer von beiden hat recht? Ackermann oder Samaras? Wer von beiden hat einen Vorschlag im Interesse Europas und Griechenlands? Ich sage: Ackermann.

Kritiker bezeichnen Sie als Populisten. Sie würden die Stimmung im Volk aufheizen.

Dazu wären wir gar nicht nötig. Es reicht schon, wenn Kanzlerin Merkel behauptet, dass Länder mit einer Schuldenquote von mehr als 80 Prozent ihre Souveränität verlieren sollen. Oder wenn unverhohlen die Einrichtung eines Sonderkontos gefordert wird, über das unserem Land kein Verfügungsrecht eingeräumt werden soll. Das schürt Zorn. Wir zählen bei den Protesten noch zu den gemäßigten Kräften.

Sind Sie bereit zu regieren?

Wir waren schon am 18. Juni so weit (nach den jüngsten Parlamentswahlen, Anm.). Wäre nicht alles Erdenkliche in Gang gesetzt worden, um uns von der Macht abzuhalten, wäre Griechenland dieses Sparpaket erspart geblieben. Wir wären in einem viel besseren Zustand als heute. Das Land hat eine Chance verloren. Aber schon bald wird Syriza die Regierung stellen.
<br style="font-weight: bold;" /> Zur Person:Alexis Tsipras ist Parteichef des linken Syriza-Bündnisses, der zweitstärksten Fraktion im griechischen Parlament. Während seiner Schuljahre trat er der Kommunistischen Jugend bei. Als Student engagierte sich Tsipras in Organisationen der "reformierten Linken". Im Jahr 1999 wurde er zum Sekretär der Jugendorganisation des Synaspismos gewählt. Im Oktober 2006 wurde er zum Stadtrat Athens gewählt, 2008 wurde er Parteichef des griechischen Linksbündnisses.