Die Regierung möchte die 22 Sozialversicherungsträger schlanker machen. Es ist auch ein Kampf gegen den Föderalismus.
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Wien. Hat Österreich zu viele Krankenkassen? Der Ruf nach einer Fusion der 22 Sozialversicherungsträger steht erneut zur Diskussion. Diesmal wird sie aber, etwas ungewohnt, von der Regierungsspitze selbst angetrieben. Es handelt sich um eine über Jahre anhaltende Diskrepanz von SPÖ und ÖVP beziehungsweise von ihren Sozialpartnern.
Am Dienstag gaben Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ihre Pläne bekannt, wonach sie die 22 Sozialversicherungsträger verschlanken wollen. Dafür lässt die Regierung eine Studie erarbeiten, die auch das aktuelle Regierungsprogramm seit 2013 vorsieht. Auch Rechnungshofberichte sollen in die Studie einfließen. Laut der Chefin des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Ulrike Rabmer-Koller, könnte ein Ergebnis bis Ende des Jahres vorliegen. Jedenfalls möchte sie die Studie zügig umsetzen.
Auf eine Fusion der Träger wollte sich Rabmer-Koller aber noch nicht festlegen. "Eine reine Zusammenlegung heißt noch nicht Sparen", sagte sie. Sie sei aber "offen für die Hebung von Effizienzpotenzialen". Kern meinte, es brauche mehr als eine reine Bürokratiereform und man müsse sorgfältig vorgehen, weil Versicherte unterschiedliche Vorteile genießen.
Ideologische Grabenkämpfe
Bei den ÖBB habe er die Zahl der Führungskräfte halbiert. "Das muss das Ziel hier auch sein", so Kern. Wegen der unterschiedlichen Leistungen und nicht einheitlichen Verrechnungen sei eine Reform aber nicht so einfach. Eine reine Bürokratiereform würde jedenfalls keine hohen Einsparungen bringen, meint der Leiter des Forschungsinstitutes für Freie Berufe an der Wirtschaftsuniversität Wien, Leo Chini, der sich mit den heimischen Krankenkassen intensiv auseinandersetzt. Der Verwaltungsaufwand liegt bei unter drei Prozent, ein im EU-Vergleich niedriger Wert. Hier wären einige Millionen, aber nicht Milliarden Euro zu holen.
Gescheitert sei eine Fusion bisher an den Sozialpartnern, meint Chini. "Die Krankenkassen sind schließlich sozialpartnerschaftlich organisiert." In den Kassenvorständen sitzen etwa Funktionäre der Wirtschafts- und Arbeiterkammer oder der Gewerkschaft. Durch die ideologischen Gräben zwischen Rot und Schwarz hätte man sich den unterschiedlichen Tarifen und Leistungen der Kassen bisweilen nicht ernsthaft angenommen.
Durch eine Fusion würde das System und die Koordination zwischen den Kassen allerdings leichter werden, sagen Experten einhellig. Dem Plan der Bundesregierung steht dafür aber eine schwierige Aufgabe bevor: Ein Vorstand des Hauptverbandes, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt, dass die Sonderkrankenkassen etwa für Bauern, Gewerbe oder Beamte ein "großes Problem" darstellen. Sinnvoll sei es, diese Sonderträger in die Gebietskrankenkassen einzugliedern. Die Schwierigkeit dabei: Es könnte aus parteiideologischen Gründen abgelehnt werden. Die Kassen für Bauern, Gewerbe und Beamte sind ÖVP-nahe, der Sonderträger für Eisenbahnen und Bergbau wiederum SPÖ-nahe. Es sind Sonderformen, die die Parteien nur ungern aufgeben wollen.
Verteilungsdebatte
Der Kassenkampf werde aber auf Kosten der Gebietskrankenkassen ausgetragen, so der Funktionär. Ein konkretes Beispiel: "Bei Leistungen über die Gewerbeversicherung muss man einen Kostenbeitrag leisten, bei den Gebietskrankenkassen nicht, weshalb die Leistung der zehntausenden Doppeltversicherten Letztere erbringt." Die Gebietskrankenkassen müssten zudem eine hohe Zahl an Arbeitslosen und Pensionisten stemmen. Bei der Beamtenversicherung ist niemand ohne Job, weshalb dieser Träger Überschüsse produziere. Mit einer Eingliederung könnten die Belastungen der Gebietskrankenkasse abgedämpft und die Beiträge gerechter verteilt werden, meint der Hauptverbandsvorstand. "Das wäre ein wichtiger Schritt, da den Kassen in den nächsten Jahren wieder Defizite bevorstehen."
Der Plan der Regierung, die Sozialversicherungsträger zu vereinheitlichen, kann auch als Kampf gegen den Förderalismus verstanden werden. Die Gebietskrankenkassen stehen den jeweiligen Landesregierungen grundsätzlich näher als dem Bund. Das wäre bei einer Zusammenlegung anders. Dann müssten die Länder mit dem Bund verhandeln. Die Kräfte der Bundesländer, sagt der Hauptverbandsvorstand hinter vorgehaltener Hand, müssten beschränkt werden. Auch weil ein Drittel der Versicherungsbeiträge in die Länder fließe und die Krankenkassen kaum Einfluss darauf hätten, was mit diesem Geld passiert.