Zum Hauptinhalt springen

Regierung steht vor Kollaps

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Premier Maliki triumphiert zwar bei den Regionalwahlen, aber in Bagdad laufen ihm die Minister davon.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bagdad. Iraks schiitischer Premier Nuri al-Maliki könnte sich eigentlich freuen. Seine Rechtsstaatskoalition hat bei den Regionalwahlen in acht von zwölf Provinzen die meisten Stimmen erhalten. Nach Auszählung von 87 Prozent liegt Maliki vorne. Sein schiitischer Rivale Moktada al-Sadr kann nur in der Provinz Misan einen Sieg vermelden. Ansonsten büßte seine Ahrar-Partei überall Stimmen ein, besonders in Basra, der früheren Hochburg des Predigers. In den beiden sunnitisch dominierten Nord-Provinzen Dijala und Salah al-Din haben die beiden schiitischen Parteien ohnehin kaum Chancen. Dort dominiert Iraqiya, das Bündnis von Ex-Premier Ijad Allawi, eines säkularen Schiiten, mit Sunniten.

Doch Malikis Freude ist wohl ordentlich getrübt: Denn in Bagdad laufen ihm reihenweise die Minister aus dem Kabinett davon, steht die Regierung vor dem Kollaps. Von ehemals 35 Ministerien sind derzeit nur noch elf besetzt.

Seine kurdischen und sunnitischen Koalitionspartner werfen Maliki vor, den Irak wieder in eine Diktatur verwandeln zu wollen. Sein autokratischer Regierungsstil hat selbst in der schiitischen Nationalen Allianz Unmut hervorgerufen. Als er dann kürzlich in einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al Arabija sagte, eine Diktatur sei ihm lieber als Chaos, wurden seine Kritiker bestätigt. Im Moment steht Maliki in Bagdad ziemlich alleine da. Sein einsamer Appell, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die Konflikte nicht eskalieren zu lassen, hatte etwas von einem Rufer in der Wüste.

Doch in den Provinzen ist der 62-jährige Schiit mit ausgeprägtem Machtinstinkt künftig die Nummer eins und kann bei der Zusammensetzung der Räte ein gewichtiges Wort mitreden. Ausgerechnet Maliki, der immer für eine starke Zentralregierung plädierte und den Föderalismus als Separatismus verwarf, setzt jetzt auf die Stärkung der Regionen. Dabei hat er Autonomiebestrebungen, etwa in Basra, nach dem Vorbild Irak-Kurdistans in den letzten Jahren brüsk abgewiesen. Doch nun scheint er die Provinzen als Machtinstrument entdeckt zu haben. Noch nie haben ihn seine Landsleute dort so oft gesehen wie in diesem Wahlkampf. Jeden kleinsten Hühnerstall weihte er ein, durchschnitt Bänder für geflickte Straßen und hielt Bürgersprechstunden ab. Immer dabei: der Staatssender Iraqia.

Urnengang von einer Welle der Gewalt überschattet

Es waren bereits die dritten Provinzwahlen, seitdem Saddam Hussein vor zehn Jahren gestürzt wurde. Sie brachten dem Land blutige Wochen, und es ist kein Ende der Gewalt abzusehen. Eine Serie von Terroranschlägen begleitete den Wahlkampf, Proteste und Aufstände die Tage vor und nach dem Urnengang, der in 12 von 18 Provinzen abgehalten wurde, weil in dreien die Sicherheitslage schon im Vorhinein zu schlecht erschien und die drei kurdischen Provinzen erst im September wählen wollen.

Bis zur Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse waren bereits 300 Menschen getötet worden. Allein 14 Kandidaten starben durch Attentate. Die UN-Mission im Irak teilte mit, dass im März 456 Menschen getötet wurden. Davon waren die Hälfte Mitglieder der Sicherheitskräfte. Die Opferzahlen haben sich im Vergleich zum letzten Jahr mehr als verdoppelt. Zwar gab es im Irak nach dem Einmarsch der Amerikaner vor zehn Jahren immer Anschläge im Vorfeld von Wahlen, doch ging deren Zahl drastisch zurück. Seitdem die US-Soldaten Ende 2011 den Irak verlassen haben, steigt die Zahl der Anschläge aber wieder kontinuierlich an. Dies waren die ersten Wahlen ohne die Amerikaner.

Im Irak zeichnet sich derzeit eine politische Zweiteilung in Norden und Süden ab. Während die acht Provinzen, in denen die Rechtsstaatskoalition Malikis als Sieger hervorging, alle südlich von Bagdad liegen und die Hauptstadt mit einschließen, hat Maliki in den nördlichen Provinzen keine Chance. Im Gegenteil. Dort toben seit Monaten anhaltende Proteste gegen ihn, die er durch die Armee blutig niederschlagen lässt. In dem Ort Hawija sind an einem Tag fast 50 Menschen getötet worden, in Suleiman Beg im Nordosten zwei Tage später weitere 26.

Ein früherer Minister bricht in Tränen aus

Seitdem überschlagen sich die Meldungen: Ausgangssperre in Mosul und Tikrit, Fahrverbot in Falludscha, Krawalle in Ramadi, Anschlag in Dijala. Der Norden Iraks ist in Aufruhr. Und Ex-Minister Mohammed Tamim, der für Bildung zuständig war, bricht im TV-Sender Al Hurra in Tränen aus, wenn er über die Situation in seinem Land befragt wird. Die Einheit im Irak kann erst einmal für beendet erklärt werden.