Der Machtkampf innerhalb der FPÖ spitzte sich gestern zu; eine Regierungsumbildung wurde in den späten Abendstunden immer wahrscheinlicher. Von einem Rücktritt von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler war die Rede. Die Tage und Stunden davor waren von einer hektischen Suche nach einem Ausweg aus der Krise gekennzeichnet.
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Nach dem Delegierten-Treffen in Knittelfeld war ein Kompromiss noch absehbar. Denn Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider wollte sich dort am Samstag auch von seiner versöhnlichen Seite präsentieren: Er warnte vor einem Platzen der Koalition. Auf einer Steuerreform beharrte Haider dennoch, ohne ein Datum dafür zu nennen. Bis Jänner - wo das Neujahrstreffen der FPÖ zu einem Parteitag umfunktioniert werden könnte - soll nun eine Kommission Vorschläge ausarbeiten, ob eine Entlastung doch schon 2003 möglich sei. Die Unterschriften der Delegierten, die einen Sonderparteitag fordern, behalten unterdessen ihre Gültigkeit - wenn auch nur bedingt. Sie erhalten einen Treuhänder: Volksanwalt Ewald Stadler.
Von einem "Platzen der Koalition" wollten die freiheitlichen Regierungsmitglieder zwar vor ihrem gestrigen Treffen nicht sprechen. Doch ihren Rücktritt wollten einige auch nicht ausschließen. Susanne Riess-Passer hatte auf alle Fragen nur eine Antwort: "Das werde ich meinen Parteifreunden sagen." Von Karl-Heinz Grasser wollten die JournalistInnen wissen, ob er auch nach der Sitzung Finanzminister sein werde. "Sicher", lautete die Entgegnung. Ob Herbert Scheibner Vizekanzler werden könnte? "Schaut nicht so aus", meinte der Verteidigungsminister.
Zurückhaltend in ihren Einschätzungen zeigte sich auch die ÖVP. Bis zur Entscheidung der Koalitionspartnerin FPÖ werde es "keinerlei Spekulationen" geben, kündigte Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat an. Auch für Innenminister Ernst Strasser galt in der ORF-"Pressestunde": keine Festlegung. Zwar bekannte er sich zur Koalition mit der FPÖ. Antworten auf Fragen zum Verbleib der Vizekanzlerin oder zur Akzeptanz potenzieller Nachfolger Riess-Passers wollte er aber nicht geben.
Kämpferischer zeigte sich kurz danach Bundeskanzler Wolfgang Schüssel - und schloss Neuwahlen nicht aus. Er verstehe nicht, warum manche mit einem "kleinlichen Streit" ihre eigene Partei in Schwierigkeiten brächten. Es könne sein, dass in dieser Situation der Wähler entscheiden müsse, erklärte Schüssel gestern. Vor solch einem Votum fürchte er sich nicht. Am Abend schien sich die ÖVP für alle Eventualitäten zu rüsten: Im Bundeskanzleramt versammelten sich die Regierungsmitglieder, Landeschefs sowie Präsidenten der Wirtschaftskammer und des Bauernbundes. Der Grund dafür wurde vorerst nicht bekannt gegeben.