Vorerst keine Proteste der Muslime geplant.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Das umstrittene Islamgesetz hat heute den Ministerrat passiert. Das heißt, das Gesetz von ÖVP und SPÖ ist durch. Das heißt auch, die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) muss sich nun entscheiden, ob sie das Gesetz zähneknirschend annimmt oder sich rund um Weihnachten offen gegen die Regierung stellt.
Verspäteter Aufschrei
Eigentlich hätte die Neufassung des europaweit einzigartigen Gesetzes von 1912 konsensual über die Bühne gehen sollen. Immerhin werden Rechte wie jenes auf einen islamischen Friedhof, auf Seelsorge oder auf Schächtung festgeschrieben und präzisiert. Zu Beginn der konkreten Verhandlungen im Frühjahr gab es seitens der IGGiÖ auch keine offenen Einwände. Doch dann schlug die Stimmung auf Druck einzelner Islam-Vereine um. Punkte wie das Verbot der Auslandsfinanzierung für Vereine und türkische Imame oder die dezidierte Erwähnung, wonach sich Muslime an Gesetze halten müssten, fassten Muslim-Vertreter als "Generalverdacht" und "Ungleichbehandlung gegenüber anderen Religionen" auf. Später drängte die IGGiÖ außerdem auf ein eigenes Gesetz, denn es gilt auch für die Aleviten mit ihrem IGGiÖ-Pendant "Alevi"
Übergangsfrist
Bei der Auslandsfinanzierung sieht das adaptierte Gesetz nun eine Übergangsfrist bis Ende 2015 vor. Das soll türkischen Imamen mit gültigem Visum die Vollendung ihrer Tätigkeit ermöglichen. Ihre Bilanzen müssen Vereine zwecks Kontrolle nicht vorlegen. Bei Verdacht kann es aber zu Verwaltungsverfahren kommen.
Das Islamgesetz gilt zwar weiter auch für Aleviten. Allerdings wird stärker darauf hingewiesen, dass es sich um zwei getrennte Religionsgemeinschaften handelt. Der Hinweis auf den Vorrang des Gesetzes vor Religion bleibt, weil diesen bereits die Urfassung von 1912 beinhaltet habe, argumentiert die Regierung, die einen Islam "österreichischer Prägung" anstrebt.
Was macht die IGGiÖ nun? Die Signale sind unterschiedlich laut. Präsident Fuat Sanac beruft noch vor Weihnachten die Gremien ein. Er hofft auf Änderungen im Parlament. "Der Beschluss im Ministerrat heißt nicht, dass der Entwurf zum Gesetz geworden wäre." Seine Ablehnung äußert er nur indirekt: "Es liegt im gemeinsamen Interesse, dass Österreich weiterhin als ein Modellland im Umgang mit seiner muslimischen Bevölkerung gelten kann."
"Frust, Enttäuschung"
Ein anderes Mitglied des Obersten Rates, das anonym bleiben will, schärfer: "Wir sind frustriert und enttäuscht, dass dieser Entwurf am Tag der Menschenrechte so durchgewunken wird. Wir haben den neuen Entwurf erst am Freitag bekommen. Es gab von uns nie ein direktes oder indirektes O.k." Nun solle die IGGiÖ klar Stellung beziehen, dass es so nicht ausgemacht gewesen sei. Einen Aufruf der IGGiÖ an Muslime zu Demonstrationen gegen das neue Islam-Gesetz wird es dem Vernehmen nach vorerst nicht geben. Das Parlament wird das Gesetz am 21. Jänner beschließen. Aus Regierungskreisen heißt es klar: "Es wird keine Änderungen mehr an den Eckpunkten geben." Das heißt, die Aufhebung des Finanzierungsverbotes, ein eigenes Gesetz für Sunniten, die Streichung des Rechtsvorranges kommt nicht. Das fordern IGGiÖ-Mitglieder aber weiterhin.
Rebellische Jugend
Offen ist, wie die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) agiert. Sie schwang sich gegen Ende der Verhandlungen zum Fahnenträger des Protests gegen das Gesetz auf. "Es ist ein demokratiepolitisches Versagen der Regierung, wenn die VolksvertreterInnen hier gegen ihre MuslimInnen ein Gesetz erlassen wollen." Die MJÖ fühlt sich bestärkt durch mehr als 20.000 Unterschriften für die parlamentarische Petition "Nein zum Entwurf des neuen Islamgesetzes". Mit dem knappen Zeitplan habe die Regierung die Muslime vor den Kopf gestoßen.
Nicht mehr zu Wort meldete sich der SPÖ-interne Kritiker des Gesetzes, SPÖ-Wien-Gemeinderat Omar Al-Rawi. Er sperrte sich vor allem gegen das Auslandsfinanz-Verbot, weil er um die Saudi-finanzierte Moschee in Floridsdorf fürchtet.