Für Härtefälle gibt es nun neue Regelungen, das Grundsatzgesetz bleibt allerdings - eine Analyse.
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Sozialminister Johannes Rauch von den Grünen ist es wichtig klarzustellen, kein Freund des Sozialhilfegrundgesetzes der ÖVP-FPÖ-Regierung zu sein: "Da mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube, Sie wissen, wir Grünen waren damit nicht glücklich. Die Obergrenzen haben natürlich viele vor Probleme gestellt." Auch die Bundesländer hätten darum gebeten, einige Punkte zu entschärfen.
Die schwierigere Rolle, das Gesetz zu verteidigen, spielt der für den Koalitionspartner soziale Fragen ausverhandelnde ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Es gehe um "Klarstellungen" und "Adaptierungen": "Wenn Sie wollen, auch darum, gewisse Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Wir wollen niemanden bewusst ausgrenzen." Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte 2019 noch behauptet, mit dem Grundsatzgesetz ein System zu schaffen, "das deutlich besser und gerechter ist".
Nun werden einige Ungerechtigkeiten beseitigt: Bundesländer können kulant bei Härtefällen sein. Gemeinsames Wohnen etwa in Frauenhäusern hat keine Kürzung der Sozialhilfe mehr zur Folge und das Pflegegeld wird nicht mehr angerechnet. "Von zehn Giftzähnen sind drei gezogen, das entlastet", heißt es von Seiten der Armutskonferenz – allerdings auch: "Die anderen tun aber immer noch sehr weh."
Ein Gesetz, das Härtefälle produziert
Kritik am Gesetz gab es von Beginn an. Der Verfassungsgerichtshof hob schon 2019 die extrem niedrigen Kinderrichtsätze auf. Eine erst kürzlich präsentierte Erhebung der Armutskonferenz unter Expertinnen und Experten aus dem Sozialbereich zeigte, dass sich die Situation für mehr als zwei Drittel der durchschnittlich 207.000 Menschen, die 2020 Monat für Monat Sozialhilfe bezogen, verschlechterte.
So erhalten zum Beispiel Menschen mit humanitärem Bleiberecht – einem legalen Aufenthaltstitel, wie auch Rauch in der Pressekonferenz betont – keine Sozialhilfe. Die "Wiener Zeitung" zeigte auf, was das für Menschen wie Tamara S. zum Beispiel bedeutet, eine mittlerweile 73-Jährige, die keine Krankenversicherung hat und komplett auf private finanzielle Hilfe angewiesen ist. Laut Rauchs Schätzung dürfte es weitere 1.000 Personen in gleicher Lage österreichweit geben. "In besonderen Härtefällen sind Ermessensentscheidungen im Vollzug zu treffen", sagt der Sozialminister nun.
Eine Lösung gibt es auch für Menschen, deren Sozialhilfe gekürzt wurde, weil sie mit anderen unter einem Dach zusammenlebten. Die ÖVP-FPÖ-Regierung wollte damit die Sozialhilfe für Asylberechtigte kürzen. Der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) hatte behauptet, dass das "Integration und Arbeitsbereitschaft fördert".
Manche Bundesländer kürzten deshalb auch Frauen in Frauenhäusern die Sozialhilfe genauso wie Menschen mit Behinderung oder Wohnungslosen in betreuten Wohneinrichtungen. Sie erhielten maximal 75 Prozent, im Minimum sogar nur 45 Prozent der Sozialhilfe: "Die galten als gemeinsamer Haushalt", sagt Rauch; sie gelten es nun nicht mehr. Das Pflegegeld einer Person wird der Pflegeperson im selben Haushalt künftig nicht mehr als Einkommen angerechnet. Und die Sozialhilfe steht auch Flüchtlingen aus der Ukraine offen.
Punktuelle Reparaturen statt Gesamtreform
Was bleibt, und etwa von der Diakonie kritisiert wird, sind Höchstsätze statt Mindeststandards. Für eine Person gibt es maximal 978 Euro, für eine zweite Person 686 Euro. Die Schwelle für Armutsgefährdung liegt aber bei 1.200 bis 1.300 Euro pro Erwachsenen. "Es geht auch darum, mit dem Gesetz einen Arbeitsanreiz mitzugeben", glaubt Wöginger allerdings.
Die Caritas vermisst Rechtssicherheit für Betroffene mit humanitärem Bleiberecht, außerdem einheitliche und höhere Kinderrichtsätze. Die Armutskonferenz kritisiert zudem die nach wie vor extrem niedrigen Zuverdienstgrenzen für Menschen mit Behinderungen von nur 15 Euro pro Monat und den hohen 40-prozentigen Anteil fürs Wohnen, der etwa bei Wohnungslosen weggekürzt wird. Beide NGOs vermissen eine Gesamtreform. "Die halbherzigen Änderungen ändern nichts am grundsätzlichen Pfusch", resümiert SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch.