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Regierungen haben die Pflicht, Proteste ernst zu nehmen

Von Simon Rosner

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War da nicht gerade was? Direkte Demokratie, Aufwertung der Bürgerrechte und so? Seit Monaten protestieren Asylwerber in der Wiener Votivkirche gegen die Zustände im Asylsystem, gegen nationale und europäische Gesetze und Verordnungen, sie informieren und erzählen über ihre Herkunftsländer und über die Gefahren, denen sie dort ausgesetzt waren (und sind).

Der Protest hat die Regierung, speziell Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, zuerst ein wenig echauffiert, doch bald schon löste sich der Ärger in Desinteresse auf. Seither ist Stille. Es gibt keinen Dialog, keine Kommunikation, nicht einmal den Versuch, ins Gespräch zu kommen.

Durch Nichtstun hat das Innenministerium seine Verantwortung an die Caritas delegiert, als sei es deren Aufgabe, die Flüchtlinge aus der Kirche zu tragen.

Es ist jedoch vielmehr die Aufgabe Mikl-Leitners und die der Regierung, einer jeden Regierung, Proteste von Menschen ernst zu nehmen. Sie müssen die Forderungen nicht teilen, und im konkreten Fall können sie gewisse Forderungen, nicht zuletzt jene nach einem kollektiven Bleiberecht, nicht erfüllen. Das wäre Regierungswillkür, und die kann niemand ernsthaft fordern.

Die Regierung hat aber die Pflicht, sich mit den Forderungen auseinanderzusetzen und Vorwürfe zu überprüfen. Sie muss den Protest als Feedback ihrer Politik verstehen, nicht als Angriff. Bei anderen Protesten, ob jene an den Unis im Jahr 2009 oder bei Lohn-Demonstrationen, haben Regierungen sehr wohl den Dialog gesucht. Dass das diesmal nicht passiert, kann nur zwei Gründe haben: Entweder pfeift die Regierung auf die Bürgerrechte, die sie stärken wollte, oder sie akzeptiert die Flüchtlinge nicht als Bürger. Wer kein Wähler ist, der ist kein Mensch?