Sechs Minister bereits zurückgetreten. | Hisbollah plant Massenproteste. | Beirut. Die politische Krise im Libanon hat sich am Montag mit dem Rücktritt eines sechsten Ministers weiter zugespitzt. Nach den fünf schiitischen Kabinettsmitgliedern demissionierte auch der christliche Umweltminister Yacoub Sarraf. Als Begründung füherte er an, dass die Regierung von Premier Fuad Siniora ihre "verfassungsmäßige Legitimität" verloren habe, wenn eine der großen konfessionellen Gemeinschaften des Landes nicht mehr repräsentiert sei. Er schloss sich damit der Position von Staatspräsident Emile Lahoud an, der als Vertrauensmann Syriens gilt und das Rumpfkabinett am Sonntag für nicht mehr verfassungskonform erklärte.
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Am Samstag hatten die fünf schiitischen Minister ihren Rücktritt bekannt gegeben. Grund war die Weigerung Sinioras und seiner antisyrischen Verbündeten, einer Aufstockung des Kabinetts zuzustimmen. "Wir sind zurückgetreten, weil die Mehrheit darauf beharrt, ihre Macht einseitig auszuüben", sagte der Fraktionschef der Hisbollah, Mohammed Raad, nach dem Scheitern der vierten Runde "nationaler Beratungen".
Spiel der Kräfte
Diese Gespräche zwischen Vertretern des nach der größten antisyrischen Demonstration im Frühjahr 2005 benannten "14. März"-Bündnisses um Siniora und Mitgliedern der prosyrischen Minderheitsfraktion im Parlament hatten Anfang vergangener Woche auf Einladung von Parlamentspräsident Nabih Berri begonnen. So wie die von Generalsekretär Hassan Nasrallah geführte Hisbollah stellte dessen ebenfalls schiitische Amal-Bewegung bislang zwei Minister im Kabinett. Zwar verweigerte Siniora am Samstag die Annahme der Rücktritterklärungen, doch die seit Wochen schwelende Regierungskrise ist mit dem Auszug der prosyrischen Minister weiter eskaliert.
Kernpunkt des Konflikts ist die von Nasrallah bereits im Oktober erhobene Forderung nach Erweiterung des Kabinetts um Angehörige der Freien Patriotischen Bewegung (FPM) des Exgenerals Michel Aoun. Der katholisch-maronitische Kandidat für die Nachfolge von Präsident Emile Lahoud hatte nach den Parlamentswahlen im Sommer vergangenen Jahres eine Aufnahme in die Regierung noch abgelehnt, fordert seit dem Krieg zwischen Hisbollah-Einheiten und der israelischen Armee jedoch mehr Einfluss. Im Februar schloss er ein Bündnis mit Nasrallah und sicherte der schiitischen Parteimiliz zu, sie gegen internationale und interne Forderungen nach ihrer Entwaffnung zu unterstützen. Siniora, Hariri und der drusische Vorsitzende der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), Walid Dschumblatt, hingegen fordern, dass die Hisbollah ihre Waffen wie die anderen Bürgerkriegsparteien auch abgeben müsse.
Bis zum Samstag sah es so aus, als ob die anti-syrischen Kräfte der Forderung nach Erweiterung des Kabinetts um Aoun unter bestimmten Bedingungen zustimmen würden. Im Gegenzug verlangten sie einen Rücktritt des prosyrischen Präsidenten und Hisbollah-Verbündeten, Lahoud, sowie die Zustimmung zu einem internationalen Tribunal, das den Mord an Ex-Premier Hafik Hariri im Februar 2005 aufklären soll. Doch der Forderung der Hisbollah, den prosyrischen Kräften ein Drittel der Kabinettsposten und damit ein Vetorecht zuzugestehen, wollten sie sich offenbar nicht beugen. Das Rumpfkabinett beschloss nun am Montag in Abwesenheit der zurückgetretenen Minister, darunter Außenminister Faouzi Salloukh, der Bildung des Sondertribunals zu, das die Verantwortlichen für den Hariri-Mord zur Rechenschaft ziehen soll.
Angst vorm Bürgerkrieg
Nach dem Auseinanderbrechen des Kabinetts könnte es schon kommende Woche zu Massendemonstrationen kommen. Damit hatte Nasrallah im Oktober für den Fall gedroht, dass die Allparteien-Verhandlungen scheitern. Politische Beobachter fürchten, dass Gegendemonstrationen der antisyrischen Kräfte zu bewaffneten Auseinandersetzungen führen könnten. Der Vorsitzende der rechtsgerichteten Libanaises Forces, Samir Geagea, der noch Ende Oktober mit einem solchen Schritt gedroht hatte, versuchte die Situation am Wochenende zu beruhigen. "Ich weiß nicht, wer dieses Klima von Angst und Spannung verbreitet", sagte der Verbündete von Hariri und Dschumblatt. "Nichts wird passieren."