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Regierungsspitze tauscht Luxushotel gegen Stahlstadt

Von Katharina Schmidt

Politik

Kanzler und Vizekanzler zu Besuch bei Ternitzer Stahlrohrbauer. | Ternitz. "Sportstadt Ternitz" grüßt das Schild am Ortseingang. Die alte Stahlstadt im Bezirk Neunkirchen (Niederösterreich) will sich ein neues Image verpassen. Doch ein Relikt aus der guten alten Zeit ist geblieben: Die Schoeller-Bleckmann-Edelstahlrohr GmbH beschäftigt immer noch rund 500 Mitarbeiter, hat gerade erst ausgebaut und setzt jährlich 100 Millionen Euro mit Rohren um.


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Produktionsgeschäftsführer Erich Hertner ist stolz auf seine Firma, ganz besonders heute. Statt den Vormittag in Sitzungen am Semmering zu verbringen, haben sich Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger samt Medien-Entourage die Zeit für einen Betriebsbesuch in der 15.000-Einwohner-Stadt genommen. Das Motto der Werke ("Nahtlos zum Erfolg") ähnelt dem neuen Leitspruch der Koalition "Österreich weiterbringen".

45 Minuten Handshakes

45 Minuten räumt das strenge Protokoll Herrn Hertner ein - und er nützt sie. Auf eine förmliche Begrüßung folgt ein Vortrag in einem Raum, der so aussieht, als wäre er gerade für den hohen Besuch eingerichtet worden. Die Stehtische und das Buffet mit Marillensaft und Petit Fours wollen so gar nicht mit der gemeinen Vorstellung von einer Stahlfirma harmonieren. Kanzler und Vize lernen, dass Schoeller-Bleckmann seit der Fusion mit einem spanischen Konzern der weltweit zweitgrößte Hersteller nahtloser Rohre ist, und dass die Ternitzer Rohre für alles Mögliche - von der Energieerzeugung bis zur Ölleitung in der Tiefsee - eingesetzt werden. Auch die dargebotenen Anschauungsobjekte, Stahlrohre mit zweierlei Durchmesser und Dicke, werden interessiert inspiziert.

Die Petit Fours verweigert die Regierungsspitze. Stattdessen beginnt ein Wettbewerb Faymann gegen Spindelegger um die Frage, wer noch freundlicher in die Kameras lächelt, und wer den Stahlarbeitern noch amikaler auf die Schulter klopft. Zwischen glühenden Rohren und Fertigungsbändern erkundigen sich die Spitzenpolitiker nach dem Wohlbefinden der meist jungen Arbeiter und plaudern, was das Zeug hält. Schoeller-Bleckmann bildet derzeit 27 Lehrlinge in sechs Lehrberufen aus.

Freude über Interesse

Den Arbeitern ist der Trubel eine willkommene Abwechslung. "Es ist gut, dass sich die Leute auch einmal dafür interessieren, wie es uns geht", sagt einer. Wichtig sei auch, dass "sich die darum kümmern, dass es der Wirtschaft gut geht".

Apropos Wirtschaft: Von der Krise blieb auch Schoeller-Bleckmann nicht verschont. Mit nur einem halben Jahr Kurzarbeit und 36 Kündigungen sei man aber besser dran gewesen als andere, meint Betriebsratschef Erich Trimmel. "Es ist also gut, dass man eine Gewerkschaft hat", betont er.

Nach einer dreiviertel Stunde ist der Spuk vorbei: Faymann und Spindelegger haben Volksnähe demonstriert und können guten Gewissens in den Ministerrat entschwinden, die Arbeiter haben zumindest ein wenig das Gefühl bekommen, dass sich die hohe Politik für sie interessiert - und von Herrn Hertner fällt der Stress ab.