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"Regime kommt in Bedrängnis"

Von Arian Faal

Politik

Irans Führung ist gespalten. | "Protestbewegung zum Weiterkämpfen entschlossen". | Teheran/Wien. Er ist so etwas wie Irans Kardinal Richelieu. Man versuchte ihn nach kritischen Äußerungen über die Präsidentschaftswahl am 17. Juni mundtot zu machen. Lange hat er geschwiegen. Nun ist er wieder präsent. Die Rede ist vom zweitmächtigstem Mann der Islamischen Republik, Ex-Präsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani. Als Chef des Experten- und Schlichtungsrates ist der 75-Jährige für viele die Anlaufstelle, um ihren Unmut kundzutun. | Dossier: Iran


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Tausende Briefe an ihn sind allein in den letzten zehn Tagen eingegangen. Als die Oppositionsproteste an diesem Wochenende am Rande der schiitischen Ashura-Feiern wieder aufflammten und mehr als ein Dutzend Todesopfer forderten, mahnte er die Führung, dass sie aufpassen solle, was sie tue, denn der Riss zwischen Regierung und Volk werde von Tag zu Tag größer. "Wir müssen penibel aufpassen, dass wir nicht die Grundlegitimation für unser Tun, den Willen des Volkes verlieren. Was die (das Militär, Anm.) da draußen täglich veranstalten, gleicht einem Schuss ins eigene Knie, wir müssen von einer Krise der Führung sprechen", mahnte Rafsanjani.

Er spricht offen aus, was Oppositionskreise oft nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen wagen: Irans Führung kommt in Bedrängnis. Die Unruhen, die nach der umstritten Wiederwahl Mahmoud Ahmadinejads im Juni begonnen hatten, haben in den letzten zehn Tagen durch den Tod des Großayatollahs Hossein Ali Montazeri, des geistigen Mentors der Regimegegner, neuen Aufschwung bekommen und das islamische System des Gottesstaates in seinen Grundpfeilern infrage gestellt.

Am Wochenende kam es im ganzen Land zu massiven Protestkundgebungen, auch am Montag gingen wieder Zehntausende auf die Straßen. Schon vor einer Woche hatten sich fast eine Million Menschen in der heiligen Stadt Ghom versammelt, um dem Verstorbenen das letzte Gleit zu geben. Daraufhin hat die Regierung alle Trauerfeiern für Montazeri verboten und die Moscheen schließen lassen.

Nach der Regimekritikkamen Schlägertrupps

"Ist es nicht absurd, wenn ein Regime, das sich auf den Islam beruft, Moscheen schließen lässt, Trauerfeiern verbietet und die Häuser von kritischen Großayatollahs wie mir von Schlägertruppen überfallen lässt?", empört sich etwa Großayatollah Yussuf Sanai, der wie Montazeri heftige Kritik an der derzeitigen Führung übt. Die Rache des Ahmadinejad-Regimes bekam er am Wochenende hautnah zu spüren. Sanais Haus wurde verwüstet und seine Mitarbeiter von den berüchtigten Basij-Milizen niedergeprügelt. Es war ein erster Warnschuss.

Demonstrationen blutig niederzuschlagen, Kritiker unter Druck zu setzen oder sie festzunehmen und ihnen langjährige Haftstrafen aufzubrummen, gehört mittlerweile zum täglichen Geschäft der politischen Führung. Hingegen fällt auf, dass sie im Gegensatz zu den Vorjahren nicht mehr ohne weiteres in der Lage ist, zu Massenkundgebungen zu mobilisieren.

Der in den USA lehrende Theologe und Philosoph Mohsen Kadiwar, ein Ex-Schüler Montazeris, ist davon überzeugt, dass das Regime bereits am Ende ist. "Der schiitische Gottesstaat in seiner bisherigen Form ist gescheitert". Versagt habe "nicht der Islam, sondern eine besondere Interpretation des Islam", erklärt der 50-Jährige in einem "Spiegel"-Interview. "Das Regime wird stürzen", ist er überzeugt.

"Risse imHerrschaftsapparat"

Ähnlich äußert sich auch der Exil-Oppositionelle Mehran Barati. Im Herrschaftsapparat täten sich zunehmend Risse auf. Und die Opposition sei zum Weiterkämpfen entschlossen, sagte der in Deutschland lebende Schwiegervater des deutschen Ex-Außenministers Joschka Fischer in Anspielung auf den Machtkampf zwischen dem erzkonservativen Khamenei und den politischen Reformkräften.

Dass auch immer mehr Geistliche - wie Großayatolah Sanai - und sogar konservative Abgeordnete einen Kurswechsel der Führung in puncto Behandlung der friedlich protestierenden Zivilisten fordern, bereitet dem Hardliner-Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad und dem obersten Führer Khamenei Kopfschmerzen.

Trotz aller Zensur, Repressionen und Kommunikationseinschränkung gärt es im Iran mehr als je zuvor seit der islamischen Revolution von 1979. Selbst die wichtigste Stütze der Führung, das Militär - die Revolutionsgarden, Pasdaran und die paramilitärischen Basij-Milizen -, ist gespalten. Immer mehr vorwiegend junge Soldaten haben sich in den letzten Tagen gewehrt, den Befehl ihrer Vorgesetzten, direkt auf Zivilisten zu schießen, auszuführen. Während die Opposition ihre Anhänger trotz massivem Aufgebot an Sicherheitskräften dennoch landesweit immer wieder zu großen Protestdemonstrationen mit hunderttausenden Teilnehmern mobilisieren kann, bringt das Regime kaum mehr als zehntausend Leute auf die Beine. Sollte diese Spaltung der Sicherheitskräfte weiter voranschreiten, wäre dies der Anfang vom Ende des Regimes.

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