Kaum Kontroversen und wenig Wahlkampf im Gottesstaat.
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Teheran. Es ist ein ganz gewöhnlicher Donnerstag auf Teherans Straßen. Wenn die verstärkten Polizeikontrollen nicht wären, gäbe es wenig Anzeichen dafür, dass am morgigen Freitag der Nachfolger von Mahmoud Ahmadinejad als Präsident gewählt wird. Sarah, 22, sitzt mit ihren Freundinnen im Laleh-Park und zündet sich eine Zigarette an. Sie alle haben bunte Schals als Kopftücher verwendet. Der vordere Teil ihrer Haare ist deutlich sichtbar. Die jungen Frauen sind geschminkt und spielen mit ihren iPhones. "Ich gehe sicher nicht wählen, denn es ist völlig egal", sagt sie genervt. Sie interessiert sich eher dafür, dass im Sommer in Antalya ein Konzert der persischen Pop-Sänger Homeyra, Kamran und Houman und Ebi, die in L.A. im Exil leben, geplant ist. "Da müssen wir hin", meint sie zu ihren Freundinnen.
Junge Mädchen wie Sarah sind politikverdrossen. Sie widmen sich lieber dem Sport, der westlichen Lebensweise und dem Flirten mit dem anderen Geschlecht. "Was hat der Präsident denn vor, um die Arbeitslosigkeit oder die Inflation zu stoppen? Wann kann die Jugend endlich wieder frei im Internet surfen, ohne teure Filterbrecher kaufen zu müssen?", echauffiert sich Niloufar, 25, die von einer farblosen Wahl spricht. "Letztes Mal hat der Oppositionschef Mir Hossein Moussavi gewonnen und man hat die Wahl zu seinen Ungunsten manipuliert. Die richten es sich ohnehin, wie es ihnen passt, also was bringt es", bilanziert Niloufar.
"Wir wollen frei sein"
Was die Mädchen besonders empört ist das Bild, das westliche Medien vom Iran verbreiten. "Die haben ja keine Ahnung. Die glauben, der Iran ist der Atomstreit oder irgendwelche belanglosen Israel-Sager von Politikern. Wir sind ein sehr offenes, kultiviertes und intelligentes Volk, das mit niemandem Krieg will. Wir wollen frei sein und so wie andere junge Menschen im Westen das Leben genießen. Doch viele Möglichkeiten haben wir im islamischen Alltag, der mit Restriktionen gefüllt ist nicht", beklagt Sarah. Von einem Wahlkampf haben die Mädchen nicht viel mitbekommen.
Große Wahlkampfveranstaltungen waren in den vergangenen Tagen ebenso spärlich zu sehen wie Plakate, Dreiecksständer und Transparente. Die Führung hat alles getan, um die Wahl im Unterschied zu 2009 ruhig und systemkonform über die Bühne zu bringen. Unliebsame Kandidaten wurden eliminiert und die Zensur verschärft. Acht von 686 Kandidaten wurden vom Wächterrat approbiert. Zwei von ihnen, Ex-Vizepräsident Mohammad Reza Aref und Ex-Parlamentssprecher Gholam-Ali Haddad-Adel, zogen ihre Kandidatur in dieser Woche zurück.
Übrig geblieben sind letztlich sechs Kandidaten (siehe Kasten), die allesamt dem Obersten Geistlichen Führer Ayatollah Khamenei nahestehen. Sie sollen im Unterschied zu Ahmadinejad keine Eigenwege gehen und sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Zwar wollen einige von ihnen einen moderateren internationalen Ton einschlagen als Ahmadinejad, doch in der Sachpolitik, sprich im Umgang mit dem Atomstreit rund um die umstrittene Urananreicherung oder in der Haltung zu Israel, wird sich nichts ändern.
"Wissen Sie, im Iran haben neben Khamenei ohnehin schon die Milizen das Ruder übernommen. Denn ganz gleich, wer nächster Präsident des schiitischen Gottesstaates wird: Er muss sich nicht nur mit Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat, arrangieren, sondern auch mit den omnipräsenten Revolutionsgarden", erklärt Nilufar.
Die Revolutionsgarden waren Khameneis "Wundermittel" gegen die monatelangen Proteste nach der umstrittenen Wiederwahl des scheidenden Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad 2009. Das Militär garantiert vor allem in Zeiten von wichtigen Wahlen, wo es in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Unruhen und Unzufriedenheit der Bevölkerung gegeben hat, die Macht der Hardliner und der ultrakonservativen Geistlichkeit rund um Khamenei.
Die Revolutionsgarden sitzen mittlerweile ohnehin an den Hebeln der wichtigsten Schlüsselpositionen in der Islamischen Republik. Wichtige politische Posten werden im Ölsektor, der Schlagader der Wirtschaft, von Militärs besetzt. Analysten zeichnen deswegen auch oft ein Bild des Iran, der nicht nur Gottesstaat, sondern auch ein "Militärstaat" ist. Wer durch die 16 Millionen Metropole Teheran geht, kann die Revolutionsgarden, die Polizeimilizen und die paramilitärischen Bassijmilizen nicht übersehen. Sie sorgen rund um die Wahl dafür, dass keine Ausschreitungen und Unruhen ausbrechen.
"Von Coca Cola bis hin zu allen bedeutenden Firmen im Iran: Die Revolutionsgarden haben darauf Zugriff oder sind über zwei Ecken in die Unternehmensführung involviert. Sogar die Telefon- und Internetanbieter sind unter ihren Fittichen", erklärt Sarah.
Für den Wahltag erwarten die jungen Frauen neue Repressionen. "Morgen werden die Menschen wieder im ganzen Land von den Milizen genervt werden. Doch sie haben ein Problem, wir jungen Menschen sind in der Überzahl und man kann und nicht alles verbieten", meint Sarah mit einem süffisanten Lächeln und dämpft ihre Zigarette aus.