Wirtschaftliche Entwicklung in beiden größten Euro-Staaten driftet auseinander.
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Brüssel.Two-Pack, Six-Pack, Europäisches Semester - seit die Krise die EU-Hauptstadt erreicht hat, ist der Eurosprech der Brüsseler Bürokraten um einige Vokabeln reicher geworden. Früher dominierte die Außen- oder Handelspolitik die Agenda der EU-Kommission, Osterweiterung oder Landwirtschaft, aber seit vier Jahren diskutiert man am Place Schuman leidenschaftlich über den Schuldenstand der einzelnen Mitgliedsländer, Konsolidierungsanstrengungen und Defizitzahlen.
Die Koordinierungsanstrengungen der Finanzminister, Statistikbehörden und Wirtschaftsforschungsinstitute sind bemerkenswert - alle Daten der EU-27 laufen nun in Brüssel zusammen. Und wenn Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn die Winter-Wirtschaftsvorausschau vorstellt, ist der Pressesaal im Kommissionsgebäude gut gefüllt.
Rehn hat eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte zuerst: Die Daten für das abgelaufene Jahr 2012 sind denkbar ungünstig, Europa befand sich in Rezession, die Wirtschaft schrumpfte um 0,3 Prozent, die Eurozone um 0,6 Prozent. Der Arbeitsmarkt sieht noch trister aus: Die Arbeitslosigkeit in der EU betrug 2012 10,5 Prozent (Eurozone: 11,4 Prozent) und wird 2013 sogar auf 11,1 Prozent (Eurozone: 12,2 Prozent) ansteigen - erst für 2014 ist ein leichtes Absinken auf 11,0 Prozent prognostiziert.
Die gute Nachricht, die wohl eher von Hoffnung als harten Daten gestützt ist: Die Prognosen seien ermutigend. Das Vertrauen der Investoren kehre langsam zurück, und das internationale Wirtschaftsklima bessere sich. Chinas Wachstumsaussichten seien positiv, und die Unsicherheit im Streit um die Staatsfinanzen in den USA habe etwas nachgelassen - wenngleich die privaten US-Haushalte und der Staat weiter überschuldet seien und kein Sanierungsplan erkennbar ist.
Appell an Regierungen
Rehn packt diese gute Nachricht in einen Appell an die Regierungen: Die Aussichten sind gut, wenn die Politik die notwendigen Schritte setzt. Der Finne rechnet mit einer "langsamen Rückkehr des Vertrauens der privaten Haushalte und Unternehmen", schon die vergangenen drei Monaten haben ein diesbezügliches Bild gezeichnet.
Zudem habe sich der Zugang zu Krediten verbessert - ein Verdienst der Europäischen Zentralbank, aber auch der Reformen. In der Realwirtschaft sei es aber noch nicht angekommen.
Auch die Reparatur der Staatsfinanzen geht weiter: Die Fiskaldefizite sollen 2013 auf 3,4 Prozent in der EU und 2,8 Prozent in der Eurozone reduziert werden. Bei der wichtigen Kennziffer - den Schulden bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt (BIP) - bewegt sich wenig, im Gegenteil: 2013 wird dieser Indikator in der EU sogar ansteigen. Schuld ist vor allem das anämische Wachstum in der EU beziehungsweise die Rezession in der Eurozone. Wenn das Bruttoinlandsprodukt sinkt, dann verschlechtert sich die Kennziffer Schulden/BIP, selbst wenn die Schulden stabil bleiben.
Einer Reihe von Defizit-Ländern wurde nun die Frist erstreckt, bis zu der sie zum Maastricht-Budgetlimit von 3 Prozent des BIP zurückkehren müssen. Etwa Frankreich: 2012 betrug das Defizit 4,6 Prozent, 2013 erwarten die Ökonomen ein Defizit von 3,7 Prozent. Rehn: "Frankreich muss zeigen, dass die Reformen weitergeführt werden, das Rentensystem nachhaltig zu sichern." In den Anmerkungen zu Italien versteckt er eine verklausulierte Warnung vor einem Comeback von Berlusconi, der Steuersenkungen versprochen hat: "Bei dem Schuldenstand ist es essenziell, dass das Land auf Reformkurs bleibt."
Doch kann Sparen Europa auf Wachstumskurs bringen? Rufe nach einer neuen Strategie werden lauter. Ein Experte der Denkfabrik European Policy Center schlägt Projektbonds, also Anleihen für Infrastrukturprojekte, oder Private-Public-Partnership-Modelle, eine Zusammenarbeit der öffentlichen Hand und privater Investoren, vor. Die Denkfabrik Bruegel plädiert für Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Entwicklung. Die Scharmützel zwischen Austeritäts-Evangelisten und Wachstumspredigern gehen somit auch 2013 weiter.
Für Österreich klingt der Bericht der EU-Kommission verhalten optimistisch: Die Budgetkonsolidierung ist auf Kurs, auch wenn 2012 0,7 Prozent des BIP in die Unterstützung des Bankensystems geflossen sind - vor allem in die Kärntner Hypo Alpe Adria. 2013 werden wieder 0,3 Prozent des BIP in Bankenhilfspakete gesteckt werden. Für 2013 ist eine Arbeitslosenrate von 4,5 Prozent vorausgesagt - die beste Performance aller EU-Staaten. Das Wachstum wird 2013 bei 0,7 Prozent liegen und 2014 auf 1,9 Prozent ansteigen.
Am Schluss die Auflösung des Vokabelquiz: "Two-Pack" ist ein Gesetzespaket für eine verstärkte Überwachung von Budgetentwürfen. "Six-Pack" beinhaltet sechs Vorschläge, etwa für ein Frühwarnsystem und für härtere Vorschriften zum Schuldenabbau. Das "Europäische Semester" ermöglicht die Kontrolle nationaler Haushalts- und Reformentwürfe, noch bevor die nationalen Parlamente diese beschließen. Alles klar?