Warum wider Erwarten der Brexit den Briten wirtschaftlich nutzen und den Europäern diesseits des Kanals schaden könnte.
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Glaubt man der öffentlichen, vor allem aber der veröffentlichten Meinung, so wird der Brexit den Briten ein wirtschaftliches Desaster der Sonderklasse bescheren. Von Rezession, Crash und Arbeitslosigkeit als Folge einer Fehlentscheidung des Souveräns ist da regelmäßig die Rede. Es ist dies freilich die gleiche öffentliche und veröffentlichte Meinung, die etwa seinerzeit den Arabischen Frühling zum Beginn der Demokratisierung und die Zuwanderungswelle der vergangenen zwölf Monate zum segensreichen Import hochqualifizierter Facharbeiter erklärt hat. Die Prognosegenauigkeit dieser veröffentlichten Meinung scheint also von eher überschaubarer Qualität zu sein.
Nicht auszuschließen ist, dass sich in ein paar Jahren zeigen wird, dass auch die Folgen des Brexit falsch eingeschätzt wurden. Denn zumindest bisher ist von einer ökonomischen Katastrophe im Vereinigten Königreich keine Spur zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Londoner Börse, gemeinhin ein Fieberthermometer für die Erwartungen der großen wirtschaftlichen Player, entwickelt sich seit dem Brexit-Referendum besser als die Märkte auf dem Festland und eilt sogar von Rekord zu Rekord. Auch die Zuversicht der Unternehmer, wie sie etwa das Marktforschungsinstitut Markit regelmäßig misst, kletterte im September auf den besten Wert seit langem. "Von einem konjunkturellen Einbruch keine Spur, die Wirtschaft brummt," rapportierte jüngst erstaunt die "FAZ" aus London.
Eine ganz interessante Erklärung dazu liefert Mathias Döpfner, Boss des Axel-Springer-Konzerns, eines der größten Medienunternehmen der Welt. Er wettet darauf, "dass Großbritannien in drei bis fünf Jahren besser dastehen wird als die EU". Denn nach dem Austritt würden die Briten ihre Wirtschaft von jeder Menge lähmender europäischer Regulierung und Bürokratisierung befreien können und bestenfalls eine Art Singapur oder Hongkong eine kurze Zugfahrt von Paris entfernt errichten. Großbritannien werde die Kräfte des freien Marktes entfesseln, während sich die EU zu einer Transferunion mit hohen Steuern und niedrigem Wachstum entwickeln werde, was immer mehr industrielle Investoren abschrecke. Wobei die Vorstellung, in der EU künftig französischen Etatismus mit deutscher Effizienz und unbehelligt von London umzusetzen, wenig einladend wirkt. "Großbritannien könnte eine sehr attraktive Alternative dazu werden", meint Spitzenmanager Döpfner.
Das ist nicht ganz unplausibel. Und hätte wohl politische Folgen weit über das Vereinigte Königreich hinaus. Denn geraten die Briten in ein paar Jahren nach dem Austritt tatsächlich wirtschaftlich in Not, wird das den Zusammenhalt der Rest-EU, aber auch deren innere Akzeptanz deutlich stärken. Denn dann wäre ja das EU-Mantra, wonach die Union eine Art Wohlstandsgenerator sei, deutlich untermauert. Und andere Mitgliedstaaten würden sich einen Austritt wohl zweimal überlegen.
Hat hingegen Döpfner recht, wird es eng für die EU. Denn dann könnten auch andere Staaten wie etwa Frank-
reich ihre Mitgliedschaft zur Disposition stellen, das Argument der vermeintlich üblen ökonomischen Folgen wäre dann eine sehr leere Drohung. Fällt Frankreich, fällt aber die Union, wie wir sie heute kennen.