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Reiche als schlechtere Menschen

Von Eva Stanzl

Wissen

Noch nie waren die Chancen auf Lebensqualität so gut. |Mäder: "Die Organisation von Macht schwingt über das liebe Geld hinaus."


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"Wiener Zeitung": Geld macht angeblich nicht glücklich. Da Börsenspekulanten ihr Kapital mehren, ohne auf die Gesundheit der Weltwirtschaft zu achten, Banker sich trotz Finanzkrise Boni auszahlen oder Millionäre mehrere Villen unterhalten, anstatt sich zumindest eine davon zugunsten wohltätiger Zwecke zu ersparen, könnte man meinen: Geld macht nicht gut. Stimmt das? Macht Geld aus Menschen schlechte Menschen?

Ueli Mäder: Reichtum bringt sicher eine spezielle Prägung, aber es gibt Unterschiede. Vereinfacht kann man von vier Gruppen sprechen. Die erste Gruppe sind Reiche aus aristokratischen Verhältnissen, die früher Ländereien besaßen. Jene, die Verluste hinnehmen mussten, waren entsprechend vernetzt, um relativ schnell wieder zu viel Geld zu kommen. Die zweite Gruppe ist der industrielle Reichtum seit dem 19. Jahrhundert. Der dritte Typ ist der Nachkriegsreichtum, dessen Angehörige an der Börse spekulierten oder mit Rohstoffen handelten. Schließlich kommt der neue Reichtum, der über Technologien oder neue Medien generiert ist.

Bei neueren Reichen fließt das Geld etwas schneller nach dem Motto: Ich gebe, aber ich will etwas dafür. Es lässt sich einfach verhandeln, um wie viel Geld es geht und was damit geschehen soll. Das pragmatische Kalkül ist von den eigenen, unmittelbaren Interessen geleitet und nutzt Möglichkeiten, zu Vorteilen zu kommen. Älterer Reichtum ist großzügiger, aber auch paternalistischer. Man gibt im Sinne von "à fonds perdu" und spricht nicht darüber, gleichwohl gibt es Erwartungen, die mit einem Kontrollsinn und dem Wunsch nach Dankbarkeit verbunden sind.

Woher stammt die neureiche Einstellung zum Geld?

Sie sind schnell zu Geld gekommen in einer Zeit neueren Datums. Sie haben eher wenig Mühe damit, sich auf den Titelseiten von Boulevard-Medien wiederzufinden, im Gespräch zu sein nützt tendenziell. Es ist ein Reichtum, der sich stärker am Leistungsprinzip orientiert und sich auf die eigene Schulter klopft unter dem Eindruck, alles selbst geschafft zu haben. Neuere Reiche übervorteilen eher ihre Kinder, sie müssen zwar auch gute Schulnoten bringen, damit sie ein Reitpferd geschenkt bekommen, aber es darf dann das größte sein. Wer hingegen in den älteren Reichtum hineingeboren ist, hat ein anderes Selbstverständnis. Diese Leute sagen eher ihren Kindern, dass sie es nicht besser haben sollen als andere und dass sie nicht mit ihrer Herkunft protzen dürfen.

Noch einmal: Macht Geld aus Menschen schlechte Menschen?

Es gibt einem ein anderes Selbstverständnis, das eine Bestätigung der subjektiven Sicht auf sich beinhaltet: Ich bin so gut, weil ich das alles erreicht habe. In der Schweiz werden heuer 40 Milliarden Franken vererbt. Mehr als die Hälfte ergeht an Millionäre, die von sich selbst aber oft den Eindruck haben, sie hätten das Geschenk selbst erwirtschaftet. Von da her täuscht das Geld. Zudem schwingt die Organisation von Macht über das liebe Geld hinaus. Im Zuge einer Machtstudie berichteten uns Bankpräsidenten mit größter Freude, wie sie ihren Einfluss geltend machen und wen sie auf welchen Platz im Bundesrat setzen, die Machtstrategien sind ausgeklügelt. Natürlich sind Reiche auch motiviert, finanziell zuzulegen. Wenn sie aber Geld verlieren, schmerzt sie das weniger als die narzisstische Kränkung weh tut.

Die Konzentration der Weltmacht hat sich verschärft, weil alle ihre eigenen Standortvorteile erhalten, wofür sie die Produktion rationalisieren. Hinzu kommen anthropologische Komponenten: Wenn wir zur Welt kommen, sind andere Menschen bereits da. Das ist vielleicht die erste narzisstische Verletzung. Gleichzeitig merken wir, dass wir ohne die anderen nicht leben können. Doch wenn es anderen nicht gut geht, nutzen wir das irgendwie aus. In Wirtschaft und Politik schwemmt es immer wieder Leute nach oben, die nicht die besten Eigenschaften haben. Ein Firmenboss hat mir etwa erzählt, dass er nie seine Position erlangt hätte, hätte er seine sozialen Kompetenzen hervorgekehrt.

Wie finden wir aus der vertrackten Finanz- und Wirtschaftskrise?

Die Chancen, Lebensqualität zu realisieren, waren noch nie so gut wie heute. Gleichzeitig waren die Risiken im ökologischen und sozialen Bereich noch nie groß.

Die Menschen wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wohlhabender, bis in die 1970er Jahre gingen soziale Unterschiede zurück. Nach dem Ende des Kommunismus und des Politischen Liberalismus kam jedoch mit einer angelsächsischen Wirtschaftsideologie, wonach der Markt regiert, die Ungleichheit zurück. Besonders seit 2009 verzeichnen wir einen steilen Anstieg der einseitigen Reichtumsverteilung. Dabei gab es noch nie in der Geschichte eine Gesellschaft, die so reich war wie die Schweiz, Österreich, Deutschland, Europa. Wo also ist dieses Geld? Ich habe den Eindruck, dass enorme Gewinne machtmäßig einseitig aufgesaugt wurden, und das führte maßgeblich zu dem, was wir jetzt Krise nennen. Ihre Lösung ist aber mitnichten nur eine Frage des Geldes, sondern auch der politischen Einstellung und des Willens. Der Fokus sollten neue Konzepte einer besseren Verteilung sein, die Krise ist unnötig.

Zur Person

Ueli Mäder, 61, ist Professor für Soziologie an der Universität Basel. Er leitet das Institut für Soziologie und das Nachdiplomstudium in Konfliktanalysen und Konfliktbewältigung. Diese Woche präsentierte er seine Studie "Wie Reiche denken und lenken" bei einer Veranstaltung der Armutskonferenz in Wien.