Kritiker sehen "Landgrabbing" als mitverantwortlich für die Hungerkrisen. | Ausländische Agrarunternehmen produzieren primär für den Export.
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Addis Abbeba. Das Thema war Günter Nooke dann doch offenbar ein bisschen zu heiß geworden. Nur wenige Stunden, nachdem der Afrika-Beauftragte der deutschen Regierung in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" die chinesischen Landkäufe in Äthiopien in Zusammenhang mit der verheerenden Hungersnot in der Region gebrachte hatte, ruderte er auch schon wieder zurück. Er wolle dem Eindruck entgegentreten, dass China eine Mitschuld an der Katastrophe habe, beieilte sich Nooke der Nachrichtenagentur Reuters mitzuteilen. Für die Entscheidungen zum Landverkauf seien die jeweiligen Regierungen verantwortlich, sagte der 52-Jährige. Noch dazu könnten die afrikanischen Länder von der Einführung der industriellen Landwirtschaft durch die Chinesen ja sogar profitieren.
Mit seiner Vorsicht ist der deutsche Afrika-Beauftragte nicht allein. Über den Kauf von afrikanischem Ackerland durch ausländische Großinvestoren wird gerne das Mäntelchen des Schweigens gebreitet. Vor allem dann, wenn die betroffenen Länder - sowie derzeit Äthiopien, Kenia oder Uganda - ohnehin Schwierigkeiten haben, ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Doch das Geschäft, das von Kritikern als "landgrabbing" bezeichnet wird, boomt: Laut einer Analyse der Weltbank wurden allein im Jahr 2009 weltweit 45 Millionen Hektar Land verpachtet oder verkauft. Im Jahrzehnt zuvor waren es nur rund vier Millionen Hektar pro Jahr gewesen. Der Trend scheint dabei ungebrochen. Die Weltbank geht davon aus, dass in den Entwicklungsländern bis zum Jahr 2030 jedes Jahr rund weitere sechs Millionen Hektar Farmland an ausländische Investoren verpachtet werden, zwei Drittel davon im chronisch armen Sub-Sahara-Afrika.
Die Käufer und Pächter sind häufig Staatsfonds, vor allem aus China und dem arabischen Raum, die sich nicht mehr auf die eigenen Ressourcen und den globalen Markt verlassen wollen, um ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Daneben investieren zunehmend auch Pensionsfonds, Unternehmen und vermögende Privatpersonen in ein Geschäft, das aufgrund von steigenden Lebensmittelpreisen und der großen Nachfrage nach Bio-Treibstoffen immer lukrativer erscheint. Dass Star-Investor Warren Buffett seinen Anhängern schon seit Jahren predigt, dass Ackerland besser als Gold sei, kann da kein Zufall sein.
Rechtlose Bauern
Ein Unternehmen, das Buffets Ratschlag schon umgesetzt hat, ist Karuturi. Das indische Unternehmen betreibt unter anderem Blumenfarmen in Kenia und Äthiopien und ist mit einer Produktionsleistung von 555 Millionen Rosen im Jahr einer der Großen in der Branche. Vor allem in Äthiopien, dessen südliche Grenzregion derzeit fast genauso schwer von der Hungerkrise betroffen ist wie Somalia, haben die Inder viel vor. "Wir haben in Äthiopien mit dem landwirtschaftlichen Anbau im Mega-Ausmaß begonnen, um ein Schlüsselspieler auf dem Markt der globalen Agro-Produkte zu werden", heißt es auf der Internet-Seite von Karuturi. Die Aktien stehen jetzt schon gut. Unternehmensgründer Ramakrishna Karuturi soll seine erste Million Dollar bereits 1998 gemacht haben.
Was für die einen ein florierendes Geschäft ist, bedeutet für die anderen aber mitunter Not und Elend. Äthiopien, dessen Bevölkerung in den letzten 30 Jahren von 36 auf 80 Millionen explodiert ist, tut sich auch ohne überregionale Hungerkrise schon schwer, seine Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen. Obwohl rund 85 Prozent der Einwohner von der Landwirtschaft leben, zählt das Land zu den Staaten mit den weltweit geringsten Erträgen pro Hektar. Dünger, Pflanzenschutzmittel oder Bewässerungssysteme sind fast unbekannt. Der Großteil der Lebensmittel, die jetzt in Äthiopien an die vier Millionen Hungernden verteilt werden, kommt daher auch aus dem Ausland. "Den Armen wird der Boden unter den Füßen weggezogen", warnte die Welthungerhilfe bereits im Jahr 2009.
Doch nicht nur für die Nahrungsmittelsicherheit werden negative Auswirkungen befürchtet. Die Dorfgemeinschaften, die die Felder schon seit Jahrhunderten bewirtschaften, halten im Regenfall keine formalen Pacht- oder Besitztitel an ihren Äckern. In Landkonflikten sind also meist sie es, die gegen den Staat oder internationale Großinvestoren den Kürzeren ziehen. Erst vor kurzem machten etwa Berichte von der nicht allzu freiwilligen Umsiedlung äthiopischer Bauern die Runde, die offiziell damit begründet wurde, dass man den Menschen woanders einen besseren Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung bieten könnte. Die Vorstellung, dass Land in vielen afrikanischen Staaten im Überfluss vorhanden ist, sei falsch, warnte die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO bereits vor längere Zeit in einer Studie.
Große Versprechen
Die Regierung in Äthiopien bestreitet hingegen, von Kleinbauern bereits genutztes Land an Ausländer zu verpachten, und verweist auf den Nutzen der landwirtschaftlichen Großprojekte. Die Investoren aus der Fremde versprechen neue Arbeitsplätze, den Bau von Straßen und Schulen sowie den Zugang zu den internationalen Märkten. Gleichzeitig wird die Einführung der industriellen Landwirtschaft als Modernisierungsschub verstanden, den die Länder ob der fehlenden finanziellen Ressourcen selbst nicht bewerkstelligen könnten.
Für die hunderttausenden Hungernden in der äthiopischen Grenzregion Dolo hat sich all das freilich noch nicht bemerkbar gemacht. Jeden Tag müssen sie aufs Neue anstehen, um dann von den internationalen Helfern in den großen Flüchtlingslagern eine karge Essensration zu bekommen. Und noch immer verhungern hier täglich die Menschen.