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Reichensteuer als Verzweiflungsakt

Von Alexander Dworzak

Politik

Liberaldemokraten im Umfragetief und auf der Suche nach politischem Profil.


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London.

Ein drohender "Wirtschaftskrieg anstatt eines kurzen Kampfes" und der "mögliche Zusammenbruch des sozialen Friedens": Mit derart drastischen Szenarien unterstreicht der liberaldemokratische Vize-Premier Nick Clegg seinen neuesten Vorschlag nach einer zeitlich befristeten Reichensteuer in Großbritannien. "Wir brauchen steuerliche Fairness auch in den harten Zeiten des jetzigen Sparkurses. Besonders Vermögende sollen noch etwas zusätzlich beitragen", fordert Clegg in einem Interview mit der Tageszeitung "Guardian". Details bleibt er schuldig; diese sollen bei einem Parteitag im September nachgeliefert werden.

Die Repliken des konservativen Koalitionspartners folgen prompt - und fallen kühl bis alarmistisch aus: Schatzkanzler George Osborne warnt, der Vorschlag gefährde die wirtschaftliche Genesung des Landes. "Viele Hedgefonds haben aufgrund des Steuersystems Großbritannien bereits verlassen. Wir müssen sehr vorsichtig sein", assistiert der Abgeordnete Bernard Jenkin.

Nicht einmal die oppositionelle Labour Party schließt sich Cleggs Vorschlag an. Die Sozialdemokraten erinnern den Vize-Premier stattdessen genüsslich daran, dass gerade er im März einer Senkung des Einkommenssteuer-Spitzensatzes von 50 auf 45 Prozent zustimmte. "Clegg hält die Briten wohl für Dummköpfe. Er spricht über Steuern für Vermögende und stimmt tatsächlich für Erleichterungen."

Ein Zehntel zahlt die Hälfte

Bereits jetzt zahlen Reiche in Großbritannien wesentlich mehr Vermögenssteuer als in anderen Industrienationen. Zudem tragen die zehn Prozent der Top-Verdiener mehr als die Hälfte der geschätzt 155 Milliarden Pfund (195 Milliarden Euro) Steuern für den aktuellen Haushalt bei. Doch die Einnahmen reichen bei weitem nicht, seit Jahren fährt das Land einen drastischen Sparkurs - dessen Fortsetzung bis zumindest 2015 verkündet wurde.

Zwischen April und Juni sank das BIP um 0,5 Prozent zum Vorquartal: der größte Rückgang seit dem Höhepunkt der Rezession Anfang 2009. Immer stärker leidet die britische Wirtschaft auch unter der Schuldenkrise in den Euro-Ländern.

Cleggs nunmehriger Vorstoß ist daher ein versuchter Befreiungsschlag aus einer verzweifelten Situation. Der Vize-Premier signalisiert Schatzkanzler Osborne damit, dass er nicht gewillt ist, weitere Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Armen auszutragen. Denn der konservative Finanzminister kündigte bereits an, im Sozialbereich nochmals zehn Milliarden Pfund einsparen zu wollen. Daneben müssen die Liberalen - gefangen in der undankbaren Rolle als Juniorpartner in der Koalition mit den Tories - ihr Profil schärfen und endlich Erfolge vorweisen.

Chronisch erfolglos

Seit Eintritt in die Regierung 2010 eilen sie von einer Schlappe zur nächsten; bei den Kommunalwahlen im Mai verloren die Liberaldemokraten mehr als ein Drittel ihrer Mandate. Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts YouGov würden ihnen lediglich zehn Prozent der Wähler ihre Stimme geben - weit abgeschlagen hinter Labour und den Konservativen.

Clegg konnte bislang kaum Akzente setzen oder sich gegen Premier David Cameron behaupten. So scheiterte im Sommer die von den Liberalen vehement geforderte Reform des britischen Oberhauses. Die nun losgetretene Steuerdebatte ist nicht einmal der Versuch, ein neues Thema zu besetzten, sondern ein Dacapo vom Jänner. "Großbritanniens Steuersystem kann nicht so weitergeführt werden", trommelte Clegg damals mit Blick auf den Mittelstand.