Zum Hauptinhalt springen

Reif für Reifenwechsel

Von Claudia Peintner

Wirtschaft

Rechnungshof kritisiert fehlende Berufsorientierung. | Im Gesundheits- und Pflegebereich gibt es Arbeit, aber keine Lehrberufe. | Wien. Mit einer großen Portion Ungewissheit blicken viele Jugendliche dem heurigen September entgegen. Wenn die Schule zu Ende ist, wird sich zeigen, ob das Gros der Pflichtschulabsolventen trotz der Wirtschaftskrise eine Lehrstelle findet.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wenn es zu Kündigungen kommt, trifft es jene mit der kürzesten Betriebszugehörigkeit und Zeitarbeiter - ebenfalls hauptsächlich junge Menschen - als Erste", warnt Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Im April stieg die Zahl der arbeitslosen 15- bis 24-Jährigen in Österreich auf mehr als 44.000. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Plus von 34,2 Prozent. Vor allem Berufe wie Maschinenbau-, Elektro- und Produktionstechniker sowie Schweißer und Maurer sind gefährdet.

Gewitterwolken über der Lehrlingszunft sind jedoch nichts Neues. Seit Jahren gilt die Lehrlingsausbildung für viele Experten als Sorgenkind - geprägt von einem schlechten Image, von unterbezahlten Jobs und Hilfskrafttätigkeiten - ohne Chance, später eine höhere Ausbildung anzuschließen.

Techniker kriegen mehr

Obwohl 256 Lehrberufe zur Auswahl stehen, befinden sich 80 Prozent der Schulabgänger in zehn Metiers. "Die Teenager kennen nur wenige Berufsgruppen, ein Mädchen wird Verkäuferin und ein Bursch Mechaniker", sagt Jürgen Michlmayr, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). Während etwa ein Elektroinstallateur anfangs rund 1800 Euro brutto Einstiegsgehalt verdiene, bekomme eine Friseurin im "klassischen Mädchenberuf" nur 1530 Euro brutto.

Eine Tatsache, die nun auch dem Rechnungshof sauer aufstößt. In einem aktuellen Bericht über das Berufsschulwesen empfiehlt er dem Unterrichtsministerium: Im Gegenstand Berufsorientierung solle man vermehrt auf die Vielfalt von Berufsfeldern hinweisen und die geschlechtsspezifischen Muster in der Berufswahl aufweichen. Dies nütze der Jugend, aber auch dem Bildungsbudget, weil es weniger Lehr-Abbrecher gebe.

"Wer nicht gewappnet ist, kann während der Lehre gehörig unter Druck geraten", weiß Michlmayr, selbst gelernter Produktionstechniker. Nach der Devise "sei froh, dass du einen Ausbildungsplatz hast", würden viele Arbeitgeber die jungen Arbeitskräfte zu Überstunden drängen. Einer Studie der Gewerkschaftsjugend zufolge machen etwa 38 Prozent der Lehrlinge unter 18 Jahren - in der Tourismusbranche sind es doppelt so viele - Überstunden, obwohl dies nach dem Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz verboten ist. Und: Statt eine qualitätsvolle Gesamtausbildung zu erhalten, verbringen Lehrlinge einen Großteil ihrer Lehrzeit in der Kfz-Werkstatt nur mit Reifenwechseln oder beim Frisör mit Haarewaschen.

Gesetzes-Dschungel

Geht es nach Experten, soll künftig verstärkt bei der Qualifikation angesetzt werden: Dazu gehört etwa die Lehre mit Matura, die derzeit von einigen Betrieben freiwillig angeboten wird.

"Es muss sich auch bei der Durchlässigkeit des Systems etwas ändern", fordert WKO-Experte Alfred Freundlinger. So gibt es derzeit keine Lehrberufe im Gesundheits- und Pflegebereich. Genau dort sind in Zukunft aber fleißige Hände gefragt. Die Durchsetzung von Reformen in der Lehrlingsausbildung ist laut Freundlinger schwierig: Je nach Beruf - ob Forstwirt oder Pfleger - müssen unterschiedliche Ausbildungsgesetze und Ministerien herangezogen werden.

Wissen: Lehrlingsausbildung

In Österreich erfolgt die Lehrlingsausbildung nach dem dualen System. Der Zugang zur Lehre ist nach dem 9. Schuljahr - also ab dem 15. Lebensjahr - möglich und dauert je nach Beruf zwischen 3,5 und 4 Jahren. An etwa zwei Tagen pro Woche findet der Unterricht in der Berufsschule, die restliche Zeit im Betrieb statt. Derzeit gibt es in Österreich über 122.400 Lehrlinge. Rund 4000 davon machen parallel zur Lehre einen Maturaabschluss.

Mehr zum Thema:'Ein guter Schlosser ist nicht gleich ein guter Ausbildner'

+++ Bares zählt mehr als die Bildung