Indiens früherer UN-Vertreter Hardeep Singh Puri über die Ursachen des islamistischen Terrors, die Flüchtlingskrise und die Verantwortung des Westens.
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Salzburg. Warum kann man nicht im Irak einmarschieren und den Islamischen Staat (IS) hinausbomben, fragen sich viele Menschen. Der ehemalige Präsident des UN-Sicherheitsrats Hardeep Singh Puri erklärte beim jährlich vom International Peace Institute Vienna veranstalteten Salzburg Forum, wieso er nicht an eine rein militärische Lösung glaubt, und übte Kritik an der Politik des Westens in Nordafrika und im Nahen Osten.
"Wiener Zeitung": Alle sprechen vom Kampf gegen den IS, den irgendjemand aufnehmen soll. Kann die Internationale Gemeinschaft einen solchen überhaupt gewinnen?
Hardeep Singh Puri: Ich glaube nicht, dass wir gegen den IS auf rein militärischem Weg gewinnen können. Wir müssen verstehen, dass die Politik in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hat. Es gibt genug Beweise dafür, dass Gruppen wie Al-Kaida und ihre gefährlichere und bösartigere Form, der Islamsiche Staat, in Gesellschaften entstanden sind, die sozial sehr wenig oder gar nicht inklusiv sind. Es waren keine partizipatorischen Regierungssysteme. Wenn man einem Volk Bürgerrechte und Freiheiten entzieht, ihm jedes Grundrecht verweigert, ergibt das zusammen mit Arbeitslosigkeit eine hochtoxische Mischung. Wenn du junge Leute einsperrst, ebenfalls. Die Gefängnisse sind Brutstätten für Al-Kaida.
Aber auch Menschen aus Europa und den USA schließen sich dem IS an...
Warum verlassen Menschen relativ wohlhabende Länder wie jene in Westeuropa, um im Ausland zu Terroristen zu werden? Die Erklärung könnte darin liegen, dass es auch in sehr entwickelten Staaten, denen es finanziell gut geht, marginalisierte Gruppen gibt, etwa schlecht integrierte Migranten. Aber es ist mehr als das. Der IS verströmt eine Art ideologische Anziehungskraft, er geht auf das Bedürfnis junger Leute ein, einem Zweck zu dienen. Dieser Anreiz ist sehr schwer zu erklären. Wenn man sich die Brutalität des IS anschaut, fragt man sich, wie es diesen Anreiz überhaupt geben kann. Aber es passiert - junge Männer und Frauen schließen sich dem IS an. Normale Terroristen beherrschen kein Territorium. Sie kommen, schlagen zu und hauen wieder ab. Aber diese Leute leiten nun auch staatliche Institutionen. Um sie zu bekämpfen, braucht es mehr als eine militärische Antwort.
Nämlich?
Man muss der Ideologie, die den gewalttätigen Extremismus nährt, bekämpfen, den Narrativ ändern. Der Grund für die Krisen im Irak, in Syrien und in Libyen ist, dass all diese Länder Bühnen für den Einsatz militärischer Gewalt waren: der Irak 2003, Libyen 2010 und 2011 und der Konflikt zwischen syrischer Armee und Rebellen dauert noch an. Militärische Gewalt wurde mit und ohne Autorisierung des UN-Sicherheitsrats angewandt. Im Fall des Irak gab es etwa kein Mandat, weil der Sicherheitsrat nicht vom Argument der Massenvernichtungswaffen überzeugt war. Mit einer "Koalition der Willigen" wurde das trotzdem gemacht. Im Fall von Gaddafi gab es eine Autorisierung. Das Problem ist, dass Gewalt angewandt wurde und dass man Waffen an Rebellen lieferte. Dann gab es auch noch den Narrativ des Extremismus. Wir können Extremismus nur besiegen, indem wir nicht warten, bis er schon entstanden ist. Man muss diesem Problem mit Bildung begegnen.
Es stellt sich die Frage, wer die Führungsposition im Kampf gegen den IS übernehmen soll. Die USA?
Am Ende des Tages ist das Problem, dass westliche Länder in den Augen der lokalen Bevölkerung mit den alten Regimen zusammenarbeiten. Das war mit Gaddafi in Libyen so, aber auch mit Mubarak in Ägypten. Ich habe da keine einfache Antwort, aber wenn du ein Problem in deinem eigenen Haus hast, dann musst du es selbst lösen. Wenn du Hilfe brauchst, hol dir welche. Man kann nicht darauf hoffen, dass andere für einen Krieg führen. Aber ja, es gibt eine neue Dimension. Wenn der IS zur Gefahr für die gesamte Welt wird, dann werden Staaten auch aktiv werden.
Europa taumelte in die Flüchtlingskrise wie ein Schlafwandler, dabei war doch nicht schwer vorherzusehen, wohin all diese Menschen gehen werden...
Die Krisenländer sind gleich nebenan. Es gibt Migrations- und Fluchtbewegungen in anderen Teilen der Welt, von denen Europa nichts merkt, etwa in Myanmar und in Bangladesch. Die Europäer sind teilweise mitschuldig. Diese Krise wurde von Menschen gemacht. Gaddafis Libyen war kein glücklicher Ort für jene, die von seinem Regime verfolgt wurden, aber jetzt zerfällt das ganze Land. Es wird zu einem "Somalia an der Mittelmeerküste".
Wer ist dafür verantwortlich? Doch nicht nur die Menschen dort?
Das Problem entstand, weil der Sicherheitsrat 2011 seine Zustimmung zu einem Einsatz von militärischer Gewalt in Libyen gab, den die Nato ausgeführt hat. Sie sagen, es war eine sehr saubere Operation und dass es keine Kollateraltote gab. Wie bitte? Ein ganzes Land zerfällt hier. Heute kann man darüber reden, aber als Leute wie ich das 2011 im Sicherheitsrat sagten, war das keine sehr beliebte Meinung. Heute begreifen alle, dass Fehler gemacht wurden. Ich möchte niemanden beschuldigen, aber die Autorisierung dieses Einsatzes war nicht hilfreich. Rebellen zu bewaffnen war eine schlechte Idee, obwohl man sagt, man habe nur die "Guten" bewaffnet. Wer weiß schon, was gute und was böse Rebellen sind? Rebellen zu bewaffnen, das nimmt fast nie einen guten Ausgang.
Muss eine Lösung für den Konflikt in Syrien auch Baschar al-Assad einbinden?
Selbst wenn er zurücktritt, muss man die Alawiten beschützen. Sie stellen 12 Prozent der syrischen Bevölkerung. Wenn Assad weg ist und ein Massaker an der alawitischen Bevölkerung beginnt, wer ist dann daran schuld? Das Problem ist, dass wir uns mit einer von Menschen geschaffenen Krise herumschlagen, also muss ich jedem, der sagt, dass wir die Konsequenzen, nämlich die Flüchtlingsbewegungen, längst vorhersagen hätten können, recht geben.
Hardeep Puri ist ein indischer Diplomat und war von 2009 bis 2013 Ständiger Vertreter Indiens bei den Vereinten Nationen. Er war Vorsitzender des UN-Komitees für Terrorismusbekämpfung und von 2011 bis 2012 der Präsident des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.