Patt zwischen linkem und bürgerlichem Lager. | Experte: Praxis der Minderheits- regierung hat durchaus Tradition. | Stockholm/Wien. Ein Patt zwischen einem linken und einem bürgerlichen Lager, schwächelnde Sozialdemokraten und dazu noch eine rechtspopulistische, islamkritische Partei als Schmuddelkind: Nach der Reichstagswahl am Sonntag ist Schweden - jedenfalls nach Meinung vieler Beobachter - in der europäischen Normalität angekommen.
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Mit 5,7 Prozent blieben die Schwedendemokraten des 31-jährigen Jimmie Aakesson zwar unter den Erwartungen von Umfrageinstituten, die die rechte Partei bereits bei mehr als sieben Prozent und auf dem Weg zur drittstärksten Kraft sahen - für Sorgenfalten beim siegreichen Premierminister reichte es aber allemal: Es handle sich um ein Ergebnis, "dass wir uns nicht gewünscht haben", sagte Fredrik Reinfeldt am Sonntagabend. Und dies, obwohl seine Moderaten fast vier Prozentpunkte hinzugewannen, seine sozialdemokratische Rivalin Mona Sahlin die erwartet bittere Niederlage erlitt und keiner seiner drei bürgerlichen Koalitionspartner aus dem Parlament flog: Reinfelds Vierparteienbündnis kam nach dem vorläufigen Ergebnis auf 172 der insgesamt 349 Reichstagssitze; das linke Oppositionsbündnis aus Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei wird nur 157 Abgeordnete stellen.
Damit verfügt die Regierung allerdings über drei Sitze weniger als für die absolute Mehrheit notwendig. Reinfeldt wird sich also um Unterstützung im Parlament umsehen müssen. Den Sturz als Premier hat er dabei nicht zu fürchten: Die Möglichkeit, dass Reinfeldt von einer Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen, Linkspartei und den Schwedendemokraten aus dem Amt gekippt wird, ist denkbar gering. Der Chef der Linkspartei, Lars Ohly, wollte sich für eine TV-Debatte nicht einmal im selben Raum wie Aakesson schminken lassen. Auch die Parteispitzen von Sozialdemokraten und Grünen haben jede Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten ausgeschlossen.
Werben um Grüne
Da auch Reinfeldt angekündigt hat, die Partei "nicht einmal mit der Zange" anzugreifen, fürchten insbesondere angelsächsisch vorgeprägte Beobachter nun ein "Hung Parliament" in Stockholm ohne klare Mehrheiten. Der deutsche Schweden-Experte Bernd Henningsen verweist im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" allerdings darauf, dass die Praxis der Minderheitsregierung in Schweden durchaus Tradition hat. Zudem, erklärt der Berliner Politologe, erschwert die schwedische Verfassung den Sturz eines Premiers.
Reinfeldt wirbt jedenfalls bereits um einen Eintritt der Grünen in sein bürgerliches Bündnis: Er werde sich um deren Unterstützung bemühen, sagte der Ministerpräsident noch am Wahlabend. Die Grünen lehnten das Angebot in der Wahlnacht zunächst ab, am Montag klang das aber schon anders: Parteichef Peter Eriksson signalisierte Gesprächsbereitschaft, verwies aber auf die große Kluft beim Thema Klimaschutz. Die Grünen zählten innerhalb des Oppositionsbündnisses zu den Siegern: Sie konnten zwei Prozentpunkte dazugewinnen und erzielten mit 7,2 Prozent das beste Ergebnis seit ihrer Gründung.
Die Ökopartei steht nun vor einer schwierigen Zerreißprobe: "In Schweden haben es die Grünen traditionell schwer, weil es hier mit der Zentrumspartei bereits eine stark ökologisch engagierte bürgerliche Kraft gibt", sagt Politologe Henningsen. Diese Partei stellte mit Thorbjörn Fälldin Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre sogar den Ministerpräsidenten - und initiierte damals den Atomausstieg des Landes, den die Regierung Reinfeldt vor kurzem rückgängig gemacht hat. Sollten sich die Grünen nun also auf gewagte politische Manöver einlassen - wie kurz nach der Wahl das Lager zu wechseln -, könnte das bei ihrer nur wenig gefestigten Wählerschaft auch schlecht ankommen.
Dänisches Modell?
Jimmie Aakesson will unterdessen Anleihen beim skandinavischen Nachbarn Dänemark nehmen: Dort treibt die Chefin der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, Pia Kjaersgaard, mit deren Tolerierung das rechtsliberale Kabinett von Lars Lokke Rasmussen regiert, das Kabinett in Kopenhagen in der Ausländerpolitik vor sich her. Ein dänisches Szenario gilt in Stockholm aber noch als Schreckgespenst der politischen Klasse: "Wir werden mit den Schwedendemokraten nicht zusammenarbeiten und uns auch nicht in ihre Abhängigkeit begeben", schloss Premier Reinfeldt auch nach der Wahl jede Zusammenarbeit mit Aakesson aus.
Die Schwedendemokraten sind ursprünglich aus dem sehr regen rechtsextremen Milieu Schwedens hervorgegangen. Aakesson, der eher wie ein Schuljunge wirkt und selbst einst Mitglied bei Reinfeldts Konservativen war, steht seit fünf Jahren an der Spitze der Partei. Er warf zu extreme Mitglieder aus der Gruppierung und machte die Randpartei damit wählbar.