Der Meteorologe und Klimaforscher Reinhard Böhm bestätigt die globale Erwärmung | Wiener Zeitung: Zuerst habe ich mich vor dem Waldsterben gefürchtet, dann vor dem Ozonloch. Muss ich mich jetzt vor der Apokalypse des Klimawandels fürchten? | Reinhard Böhm: Furcht ist nie ein guter Ratgeber. Ja, es wird Probleme geben, weil wir vor Klimaveränderungen stehen, das kann man nachweisen. Mein Rat wäre aber, rational damit umzugehen.
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Nämlich wie?
Die Klimatologie versteht sich als rationale Wissenschaft. Das heißt, man entwirft theoretische Modelle, rechnet sie auf Großrechnern durch, verifiziert sie, und muss dann die Ergebnisse werten. Und dann sollte man mit harten Fakten argumentieren. Aber man jongliert halt besonders gut mit Themenbereichen, wo nicht alles genau erforscht ist - und wo man seine subjektive Meinung einbringen kann.
Da werden dann zum Beispiel Palmenstrände in Wien vorhergesagt.
Es gibt zwei Standpunkte: Die einen leugnen, dass sich das Klima überhaupt erwärmt, die anderen finden, dass die Veränderung auf jeden Fall katastrophal enden wird. Ich stehe aber nicht in der Mitte, sondern fallweise auf der einen oder auf der anderen Seite. Ein Beispiel: Über die mittlere Erdtemperatur in den nächsten 100 Jahren können die Klimatologen schon recht genaue Angaben machen. Darüber muss man nicht streiten. Die Faktenlage und Vorhersagbarkeit wird aber immer schlechter, je mehr es um den Wasserkreislauf geht und je mehr man etwas auf regionale Probleme umlegen möchte. Es gibt ja etwa Aussagen über die Zunahme von Gewittern in der Steiermark oder von Tornados in Kentucky. Völlig unmöglich. So etwas ist aus den Klimamodellen nicht ablesbar.
Dieser Klimawandel ist also einerseits nur einer von vielen in der Erdgeschichte. Andrerseits weiß man noch nicht genau, wie stark der Mensch in ihn eingegriffen hat.
Es gibt einen zunehmenden menschlichen Einfluss auf das Klima. Seit 1945 gehen alle Kurven durch die enorme Wirtschaftsentwicklung steil in die Höhe. Wir haben Verschiedenes mit der Erdatmosphäre angestellt, was das Klima beeinflusst - etwa die Aerosole vervielfacht. Ich nehme an, dass wir das auch in nächster Zeit weiter so machen werden. Außerdem haben viele in die Atmosphäre ausgebrachten Stoffe - wie das CO2 - eine sehr lange Verweildauer. Damit haben wir zu leben. Daneben gibt es auch natürliche klimawirksame Faktoren, mit denen wir immer schon gelebt haben.
Bei der Krönung von Karl dem Großen (800) soll es in Aachen Feigenbäume gegeben haben, steht in den Chroniken.
Zweifellos war es damals wärmer. Wir sind jetzt dabei, den Bereich der Klimaschwankungen der letzten 2000 Jahre nach oben hin zu verlassen. Die Temperaturen in den letzten 50 Jahren waren vergleichbar mit den wärmsten Perioden des Mittelalters.
Es fällt auf, dass in der Diskus-sion mit Zeiträumen eigenartig argumentiert wird. Entwicklungen, die über Jahrhunderte verlaufen, prognostiziert man jetzt für die nächsten zehn Jahre. Woher kommt das?
Weil man es sich einfach machen will. Das Durcheinanderwerfen verschiedener Zeitskalen verursacht Missverständnisse. Es gibt eine Darstellung der Klimaänderung als geglättete Kurve, aus der alle Extremwerte herausgenommen sind. Wenn ein Winter besonders kalt oder warm ist, kann man nicht argumentieren: Es gibt keine Klimaerwärmung, oder sie ist schon besonders arg. In beiden Fällen wird man sofort für die dumme Argumentation bestraft, weil der nächste Winter sicher anders verlaufen wird. Beim Klimawandel geht es nicht um Einzelereignisse, sondern um den Langfristtrend. Der ist natürlich schwächer als die Einzelereignisse. Aber nur von ihm sprechen wir, nicht von Extremereignissen. Gewitter, Sturm, Überschwemmungen, Hurrikans sind sehr kurzzeitige, sehr extreme, aber auch - im globalen Maßstab gesehen - sehr kleinräumige Ereignisse. Aussagen, ob sich die Häufigkeit solcher Ereignisse ändern wird, sind sehr schwer zu treffen.
Schlüsse von einem kleinen Raum auf das ganze Klima sind also unzulässig?
Genauso wie von einer kurzen Zeitspanne auf einen langen Zeitraum. Trotzdem wird in Diskussionen gern so argumentiert. So was nennt man Picking - man klezelt sich heraus, was man gerade braucht. Und das ist beim Klima leider besonders leicht möglich, weil es räumlich und zeitlich so variabel ist.
Inwieweit sind Einzelmaßnahmen, deren Auswirkungen man nicht kennt, überhaupt vernünftig?
Würde man stets an das ökologische System als Ganzes denken, könnten solche Schnellschüsse wie Biotreibstoff, die in Konkurrenz mit der Ernährung der Weltbevölkerung stehen, nicht passieren. Man muss die Erde als Gesamtes betrachten und sehen, dass das Klima nur ein Problem ist, und dass es auch noch viele andere Probleme gibt.
Hinter der Zuspitzung der Debatte stehen ja viele Interessen. Sind die Förderer der Klimadebatte identifiziert?
Diesbezüglich bin ich vielleicht naiv. Ich glaube, dass das Argument wichtig ist und nicht, wer es vorbringt. Wenn jemand etwas gut argumentiert, dann glaube ich es ihm, auch wenn er auf der Gehaltsliste von Shell steht - oder auf der von Greenpeace.
Es geht aber auch um die Zuteilung der Finanzmittel für die Forschung.
Aber daran sind ja ebenfalls nicht die Menschen schuld, sondern die Verhältnisse, selbst wenn das marxistisch klingen mag. Wenn die Forschungspolitik darauf hinausläuft, dass jedes Projekt zu etwas dienen muss, dann verbaut man sich alle Wege in die Zukunft. Denn in 30 Jahren ist vielleicht das anwendungsorientiert, was jetzt Grundlagenforschung ist. Vor 30 Jahren war Klimatologie ein Schmetterlingsfach, eine unbeachtete Wissenschaft. Wer weiß denn, ob nicht heute ein Käferforscher eine Entdeckung macht, die uns in 30 Jahren helfen wird, das Weltklima zu retten?
Man muss es sich leisten, Forscher zu haben, die einfach forschen, weil sie neugierig sind. Das sollte der Antrieb sein, nicht die Antwort auf die Frage: Wem nützt´s, was kann man damit machen? Das ist kurzfristig gedacht.
Beim Klima sieht man: Je größer die Aufregung ist, desto stärker fließen die Forschungsmittel in eine bestimmte Richtung.
Es ist klar, dass es Nutznießer gibt. Und es ist paradox, wenn man sieht, wessen Geschäft manche Leute unbewusst betreiben. Natürlich leben zum Beispiel die Kernkraftwerke von dieser Debatte. Es gibt viele Argumente für oder gegen Atomkraft, aber man wird kein Klimaargument finden, das dagegen spricht. Wenn man einseitig das Klimathema spielt, betreibt man das Geschäft der Atomlobby. In Finnland wurden bereits die ersten Atomkraftwerke mit diesem Argument gebaut. Und in Deutschland gibt es die große Diskussion: Was ist wichtiger - Klima oder Kernkraftmoratorium?
Was wird durch den Klimawandel in Österreich passieren?
Sicherlich eine weitere Temperaturzunahme. Wir haben auch bei den schärfsten CO2-Einsparungen in Österreich einen Temperaturzuwachs von +2 bis +4 Grad in den nächsten 100 Jahren zu erwarten. Das mag nach wenig klingen, ist aber viel. Und das hat verschiedene lokale und regionale Folgen.
Zum Beispiel?
Man könnte sagen: Schnee ist ein "weiches Faktum" - weil er lokal ist und vom Niederschlag abhängt. Aber je länger unser Jahrhundert dauert, desto mehr lebt der Schnee nicht nur vom Niederschlagsangebot, sondern auch von der Temperatur. Weil er einfach nicht mehr liegen bleibt. In einem relativ großen Ingenieurs-Projekt könnte man Skigebiet für Skigebiet danach beurteilen, wie lange man dort noch Schnee künstlich erzeugen kann. Für Schladming wurde das schon gemacht.
Das würde voraussetzen, dass sich die Menschen anpassen. Die haben aber ihre Häuser für den Tourismus ausgebaut. Ganze Regionen müssten umdenken.
Ja. Und es gibt noch mehr Beispiele. Neben der Temperatur ist der Niederschlag der zweitwichtigste Faktor für die Landwirtschaft. Wir erwarten eine tendenzielle Zunahme im Norden und eine Abnahme im Süden Europas. Und zwar jahreszeitlich aufgesplittert: Im Winter Zunahme, im Sommer Abnahme. Unsere Erkenntnisse aus der Vergangenheit sagen uns, dass die Grenze quer durch Österreich verlaufen wird.
Deswegen erwarte ich, dass es in den nächsten 100 Jahren eher im Winter und eher im Westen - in Vorarlberg und Tirol - eine Niederschlagszunahme von maximal zehn Prozent geben wird, doch im Südosten - in Kärnten und der Steiermark - geht es eher in Richtung Austrocknung, auch das in der Größenordnung von zehn Prozent.
Oft werden die Computermodelle kritisiert, die als Grundlage für die Aussagen zum Klimawandel genommen werden. Sind die gut oder nicht?
Die sind schon gut. Doch die Aussagen, für die sie benützt werden, sind es oft nicht. Wissenschafter, die Klimamodelle errechnen, sind sehr bescheiden. Denn sie wissen genau, was sie können und was nicht.
Muss ich jetzt also alarmiert sein oder nicht?
Man sollte sich Sorgen machen, aber es bringt nichts, wenn die Wissenschaft ununterbrochen aufmerksam macht und vorgibt, alles zu wissen. Das ist aus zwei Gründen kontraproduktiv: Erstens hemmt es die weitere Forschung. Es wäre sinnvoll, vieles genauer zu wissen, doch eben das wird dadurch unterbunden. Und zweitens: Wenn man die Gesellschaft auf eine Gefahr aufmerksam macht - und das geschieht jetzt seit 20 Jahren -, und immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt: "Es wird wärmen, es wird wärmer, der Meeresspiegel steigt!", dann führt das zu einem Abstumpfungsprozess. Aufmerksamkeit ist im besten Fall über 25 Jahre aufrechtzuerhalten. Selbst wenn man noch so viele Konferenzen macht und die Presse auf seiner Seite hat. Außerdem kann der Fall eintreten, dass man wegen des guten Zwecks übertreibt. So etwas mag kurzfristig sehr wirksam sein - wie auch im Wahlkampf. Die Spin-Doktoren sagen: Übertreibt´s nur, dann gewinnt ihr die nächste Wahl. Langfristig aber vertreibt man so die Menschen aus der Demokratie. Und eine ähnliche Gefahr sehe ich bei der Klimawandeldebatte. Eine durchaus ernste Sache wird durch Übertreibung geschädigt. Wenn ich das ausspreche und beklage, werde ich abgelehnt als einer, der die Frage nicht ernst genug nimmt. Doch ich nehme sie ernster als so mancher andere.
Man müsste also die Wissenschaft auch in der Öffentlichkeit redlicher interpretieren?
Die Wissenschafter müssten sich trauen zu sagen: Das können wir, das aber können wir noch nicht. So eine Einstellung ist bei uns allerdings nicht weit verbreitet.
Wie ist das mit den Gletschern in Österreich, die angeblich demnächst völlig verschwinden?
Dafür haben wir ein gutes Modell. Gesamtalpin kann man sagen: Ein starker Rückgang wird stattfinden, aber die Gletscher werden nicht völlig verschwinden. Man sollte sich allerdings auch Gedanken darüber machen, was das sonst noch für Auswirkungen haben könnte. Man redet heute nur über die Trinkwasserreserve aus den Gletschern - aber die ist zu vernachlässigen. Wir leiden nicht unter Trinkwassernot in Österreich, wir haben genug Niederschlag.
Klimaforscher zeigen bei Vorträgen gerne Bildmontagen von den weggeschmolzenen Gletschern und dann sagen sie: Jetzt gehen Sie bitte zu Fuß nach Hause oder nehmen ein Fahrrad . . . Es ist unfair, das Problem dem Einzelnen anzulasten oder aufzubürden. Es ist die Pflicht der EU, neue Rahmenbedingungen festzulegen. Nur dann werde ich es mir ernsthaft überlegen, Kiwis zu kaufen, wenn der Kaufpreis einen Spritzuschlag enthält, weil die Früchte aus Neuseeland kommen. Das wäre dann fair. Doch es gibt eben das Problem der politischen Durchsetzbarkeit. Das sieht man ja schon bei den CO2-Einsparungen mit dem Ziel, dass die globale Erwärmung nur +2 statt +4 Grad betragen soll. Ich fürchte, dass sich das demokratisch gar nicht durchsetzen lässt. Nicht zuletzt deshalb, weil es weltweit zu wenige Demokratien gibt. Denken Sie etwa an China. Warum sollten sich die Chinesen darum scheren, was für uns Europäer gut ist? Noch dazu, wo sie das blendende Argument haben, dass wir drei- bis viermal so viel CO2-Ausstoß pro Kopf produzieren wie sie. Trotzdem muss man versuchen, von den fossilen Brennstoffen wegzukommen. Aber nicht mit der Brechstange. Und unbedingt auf globaler Ebene.
Also langsam. Aber haben wir dafür denn noch Zeit?
Ich glaube schon. Wir reden von 100 Jahren. Hat man sich vor 100 Jahren den heutigen Zustand der Erde vorstellen können?
Sie sind bei allen Aussagen, die über Ihr Feld, die Klimatologie, hinausgehen, sehr vorsichtig. Andere hingegen haben die Wahrheit gepachtet und nennen Andersdenkende "Klimaleugner". Wie konnte es dazu kommen, dass aus der Klimafrage ein Glaubenskampf wurde?
Wo wenig Wissen ist, fängt der Glaubensstreit an. Wenn ich sage 1 + 1 = 3, dann weiß jeder, das es falsch ist. Wenn ich jedoch behaupte: Der Erde geht unter, weil es auf ihr, wie auf der Venus, 400 Grad heiß sein wird, dann ist das nicht so leicht nachzuprüfen - und macht Angst, die sich dann wunderbar instrumentalisieren lässt.
Darum trete ich so energisch dafür ein, unabhängiges Wissen zu fördern. Und jedenfalls wäre mehr Rationalität in der Klimadebatte sehr wünschenswert.
Zur Person
Reinhard Böhm, geboren 1948 in Wien, Doktor der Meteorologie und Geodynamik, seit 1973 als Klimatologe an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik arbeitend, ist ein rarer Vertreter seiner Wissenschaft: Während Zunftkollegen und oft selbst ernannte Experten sich in Zeiten der Klimahysterie gern mit überzogenen Aussagen in den Vordergrund spielen, hält er sich bescheiden an die Fakten. Auch in seinen Büchern - zuletzt in "Heiße Luft" (Edition VA bENE 2008) - malt er weder schwarz noch weiß und schon gar nicht grau: Es finden sich dort grundlegende Informationen, in lauterer wissenschaftlicher Manier gewichtete Fakten - und nach der trotzdem launigen Lektüre erscheint das wirre Bild, das der Laie mittlerweile vom Klimawandel haben muss, durchaus klarer.
Auch im Interview legt Böhm wert auf die Feststellung, "kein Experte für den Einfluss von Spin-Doktoren auf das Wahlverhalten oder vom Kiwi-Essen auf das Weltklima" zu sein, sondern eben nur Klimaforscher. Und welches Kaliber er diesbezüglich ist, kann man auch im Internet sehen: 250 Jahre Klimavariabilität im Großraum Alpen - eines der Schwerpunktthemen Böhms und seiner Forschergruppe - können virtuell nachvollzogen werden auf www.zamg.ac.at/histalp.
Ruth Pauli lebt in Wien und ist als Autorin von Sachbüchern und als freie Journalistin für Printmedien tätig.