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Reinhard Walcher

Von Irene Prugger

Reflexionen

Der in Innsbruck lebende Zeichner und Maler Reinhard Walcher erklärt, warum er der etablierten Hochkultur misstraut - und welche Kunst ihm sympathischer ist.


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Zeichnung von Reinhard Walcher.
© Foto: Irene Prugger

Reinhard Walcher ist ein Grübler, ein Weltnachdenker, aber einer mit Chuzpe. Seine witzigen und tiefgründigen Bildergeschichten von "Herrn Gescheit" und "Herrn Blöd" haben schon die Leser der Satirezeitschrift "Luftballon" und der literarischen "Gegenwart" begeistert.

Walchers Welt ist keine runde Sache, spitz und kantig sind die dargestellten Objekte, oft sind es Männer und Frauen in anzüglichen Posen, die aber durch künstlerische Verfremdung viel vom Kontext gesellschaftlicher Zustände und den Beziehungen zwischen den Geschlechtern erzählen. Und von eigenen Befindlichkeiten, die manchmal ebenfalls so unrund sind, dass man sich am besten auf ein befreiendes Gespräch in einem Lokal trifft.

"Wiener Zeitung": Sie sind Zeichner, Maler und Karikaturist. Gibt es dabei mitunter ein Identitätsproblem?Reinhard Walcher: Ein Identitätsproblem habe ich sowieso immer. Nicht nur, ob ich Zeichner, Maler oder Karikaturist bin. Ich frage mich genauso, ob ich Mann oder Frau, wahnsinnig oder normal, lustig oder traurig bin. Aber das ist gut so. Nichts ist schlimmer, als immer das Gleiche zu tun bzw. immer der Gleiche zu sein. Vielleicht wird man technisch, handwerklich besser, wenn man ewig bei derselben Sache bleibt. Irgendwann aber wird dann alles zu glatt, Spannung und Authentizität gehen verloren und man bewegt sich in Richtung Hochglanz. Alles, was mit Hoch- beginnt, ist mir suspekt: Hochkultur, Hochadel, Hochschaubahn, High Society . . .

Wie würden Sie Ihre künstlerische Entwicklung beschreiben?Mein Vater hat meine Kinderzeichnungen oft in sein Büro mitgenommen, um sie seinen Kollegen zu zeigen. Stolz erzählte er mir, dass alle beeindruckt gewesen seien. Das war meine erste Publikumserfahrung als Künstler. Ich war damals noch Linkshänder und wurde mit vereinten Kräften des Volksschullehrers und meines Vaters auf die rechte, "schöne" Hand umgezwungen. Das war meine erste Erfahrung als Dissident des Imperiums.

Später, in der 7. Klasse Gymnasium, stellte der Zeichenlehrer die Aufgabe, einen Baum mit der linken Hand zu zeichnen. Mein Baum gelang mir so gut, dass ich mir eine gewaltige Kopfnuss einhandelte. Obendrein zerknüllte der Lehrer mein Blatt und warf es in den Papierkorb. Er wollte mir nicht glauben, dass ich die linke Hand benutzt hatte. Es war das zweite Erlebnis mit der vernichtenden Ignoranz und Zynik des Imperiums. Bei diesem Lehrer wollte ich in Zeichnen maturieren, was er mir verbot. "Ich lasse dich sonst einfach durchfallen", meinte er. Ich bestand dann die Prüfung mit sehr gut und mein Entschluss, Künstler zu werden, stand fest. Mein Kunstverständnis lautete: anders sein, aufmüpfig sein, das Imperium zwicken oder ignorieren. Kein guter Plan, um reich und berühmt zu werden.

Mein Idol war van Gogh und ich beschloss, nicht an die Kunstakademie zu gehen. Malen kann man sich selber authentischer beibringen. Es begann eine schöne Zeit mit Reisen und Landschaftsmalen in der Natur und ersten Ausstellungen, meist gemeinsam mit Walter Klier. Nebenbei studierte ich Architektur. Dann gründeten Klier, Klaus Schiffer und ich den "Luftballon", die erste satirische Zeitschrift Tirols. In den vier Jahren seines Erscheinens entwickelte ich mich zum Zeichner und Karikaturisten, von Strichmännchen bis hin zu üppigen Frauen. Ein eher unbedeutender Innsbrucker Bürgermeister verklagte uns auf 100.000 Schilling und läutete das Platzen des "Luftballons" ein. Das war die dritte Erfahrung mit der Humor- und Verständnislosigkeit des Imperiums.

Welche wichtigen Entscheidungen mussten Sie auf Ihrem künstlerischen Weg treffen?

Da war keine Entscheidung nötig. Künstler zu sein ist für mich die einzig mögliche Form zu leben. Das hat auch mit Rebellion zu tun, mit Reflexion über die herrschenden Zustände, mit passivem Widerstand, mit Gesellschaftskritik, mit Kreativität und Anderssein. Es braucht Mut und eine gewisse Verantwortungslosigkeit sich selbst gegenüber, ein winziger Vektor zu sein, der auch andere Möglichkeiten als die herrschenden Sitten vorantreibt. Politik bewegt nichts. Der Jazz war die Kraft aus dem Untergrund, die viele Veränderungen initiiert hat, und nicht die Salonmusik von Beethoven bis Mozart.

Sind Sie in die heimische Kunstszene integriert?

Wenn damit die offizielle, subventionierte, im ORF breitgetretene Szene gemeint ist: nein! Da hab ich keine Chance. Der Mainstream - warum sagt man nicht Hauptstrom? - ist nicht das Meine. Die heimische Kunst findet aber nicht nur in den heiligen Hallen der Subvention statt. Es gibt eine ganze Reihe von Szenen, die origineller und ehrlicher, vor allem aber mutiger und engagierter sind, auch in Tirol. Nicht zuletzt gibt es mein kleines Studio in Innsbruck, wo ich zu 100 Prozent integriert bin.

Lässt eine Außenseiterposition mehr künstlerische Möglichkeiten offen?

Prinzipiell lässt jede Position alle Möglichkeiten zu. Aber wer es in eine höhere, offizielle Position geschafft hat, traut sich meistens nichts mehr. Das ist das Ende der Kunst. Die oft jämmerlichen Versuche der Staatskünstler, die Leute zu provozieren, scheitern kläglich. Niemand regt sich mehr über schwarz übermalte Bilder oder überdimensionales Gekritzel auf. Dafür sind die Leute längst zu abgeklärt und auch zu gebildet, um nicht die Dünne dieser Artefakte zu durchschauen. Und den paar Millionären, die solches kaufen, sei es gegönnt, so genarrt zu werden.

Ist Anerkennung wichtig für Sie?

Früher einmal schon. Die Gier nach Anerkennung ist aber wie jede Droge ein selbstzerstörerisches Elixier. Man verkrampft sich, verkümmert im Kreativen, denkt zu viel und quält sich ab. Die wirklichen Triebfedern der Kreativität sind die Lust und die Freude an der Arbeit, was in unserer religiös verbrämten Kultur anrüchig ist. Mühe und Plage, Selbstverleugnung und Selbstqual werden wie beim Sport auch in der Kunst mehr geschätzt als die Lust. Für mich ist wichtig, dass mir meine Bilder selbst gefallen. Gefallen sie auch den Leuten, freut es mich natürlich, aber darauf bin ich nicht mehr angewiesen - außer auf das Geld, die schönste Form der Anerkennung. Und Anerkennung ist ein Surrogat für Liebe. Ich will geliebt werden, ohne dafür ein 10 mal 10 Meter großes Tryptichon oder einen Kopfstand machen zu müssen.

Können Kritikermeinungen Sie beeinflussen?

Kritik hat einen negativen Beigeschmack. Und es gibt sie, die dummen, verbohrten, ideologisch böswilligen Kritiker. Diese Sorte lässt mich kalt - und ich sie auch. Positive Kritik beflügelt mich aber schon. Allerdings nicht in dem Sinn, dass ich mich in meiner Kunst beeinflussen ließe. Da ist kein Esel sturer als ich.

Wie sehen Sie das Verhältnis Geschäft und Kunst?

Geschäft ist das Lebenselixier dieser Welt. Produkte und Dienstleistungen werden ausgetauscht und dafür erhält man Geld. Auch Künstler schaffen Produkte und wollen sie selbstverständlich verkaufen. Daran ist nichts Schlechtes. Nur leider braucht niemand wirklich Kunstwerke. Es sei denn zu bestimmten Zwecken wie Propaganda, Repräsentation, Schmuck, als Geldanlage sogar. Es gibt absurd überbezahlte Kunstwerke, aber das macht den Reichen nichts aus. Für die ist ein Bild von 100 Millionen so viel, wie für mich eine Pizza.

Können Sie von Ihrer Kunst leben?

Ich war Fernfahrer, Skilehrer, Architekt und alles Mögliche. Und einmal hab ich nach einer Ausstellung drei Monate in Saus und Braus gelebt. Außerdem war ich verheiratet und habe meiner Frau viel zu verdanken. Alles klar?

Wirkt existenzielle Bedrohung auf Ihre Arbeit zurück?

Ja, das Klischee vom hungernden Künstler lebt, auch wenn ich nicht gerade hungere. Trotzdem fühle ich mich oft existenziell bedroht. Wenn man schlecht drauf ist, kann man nicht gut arbeiten, außer Kubin vielleicht. An meinen guten Tagen schaffe ich es, an den schlechten saufe ich mich nieder.

Die vielleicht unbeantwortbare Frage zum Schluss: Was ist Ihrer Meinung nach Kunst?

Kunst ist die Magie des Unverständlichen, der Schönheit und des Wunders des Wahnsinns. Um mit den Worten des Iren John O’Donohue sprechen: "Eine Welt ohne Schönheit wäre unerträglich." Der röhrende Hirsch im Abendrot ist natürlich auch Kunst, nur halt nicht besonders tiefgängig. Und Michelangelos Propagandakunst für die katholische Kirche ist auch Kunst - auf hohem Niveau, aber widerlich. Und nach Jahrhunderten noch immer politisch korrekt.

Die gesamte sogenannte Kultur unserer Gesellschaft hat die Aufklärung nicht zur Kenntnis genommen. Was für eine Schande! Die Voraussetzung für Kunst ist das Bemerken, die Achtsamkeit, das Lesen und die Zuneigung zum Kunstwerk, der Genuss und die Lust daran. Andernfalls ist ein Bild nur ein bisschen glitschige Farbe auf einem Stück Stoff. Und jetzt kann ich nicht mehr, das Thema regt mich auf. Ich bitte um eine Pause. Aber danach wird es umso wilder weitergehen.

Wie es weiterging? "Für einen Kopfstand brauchst du nur ein Decke oder sonst eine Unterlage", sagte Reinhard Walcher am Schluss des Gesprächs, nahm seinen Schal, faltete ihn zusammen, legte ihn auf den Boden, dann balancierte der frühere erfolgreiche Kunstturner mitten im Lokal vor den Augen der staunenden Gäste einen gelungenen Kopfstand. Wahrscheinlich hat er an diesem Tag in seinem kleinen Innsbrucker Atelier doch noch ein Bild gemalt.Irene Prugger, geboren 1959 in Hall, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mils in Tirol.

Zur Person<br style="font-weight: bold;" /> <br style="font-weight: bold;" /> Reinhard Walcher, geboren 1953 in Wörgl, arbeitet seit 1980 als Maler, Cartoonist und Illustrator für verschiedene Medien.
15 Jahre lang war Walcher auch als Architekt tätig, zwischen 1983 bis 1998 wurden mehrere seiner Architekturentwürfe realisiert. Heute lebt er als freier Künstler in Innsbruck.