Der Bergsteiger Reinhold Messner spricht über den Wandel in den Alpen, die Lebensweise der Bergbewohner, die "tibetanische Himmelsbestattung" - und den Film "Nanga Parbat", der zurzeit in den Kinos läuft.
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Wiener Zeitung: Herr Messner, Sie sind im Herbst 65 geworden. Zeit, in Pension zu gehen? Reinhold Messner (lacht): Ich habe noch viele Pläne und es sind Projekte in Arbeit, die noch unvollendet sind.
Zum Beispiel?
Das Messner Mountain Museum. Der Nukleus des Museums befindet sich auf der Burg Sigmunds-korn. Hier steht das Verhältnis Mensch und Berg im Mittelpunkt. Die Besucher können sich aber auch über den Südtiroler Freiheitskampf informieren. Dazu kommen vier Zweigstellen: Auf Schloss Juval im Vinschgau werden mystische Berge und deren religiöse Dimension bearbeitet. Das fast 2200 Meter über Meer gelegene Messner Mountain Museum auf dem Monte Rite widmet sich dem Thema Felsen und dem Alpinismus in den Dolomiten. Schließlich gibt es noch das Museum in Sulden am Ortler, in dem sich alles um das Eis, um Bergsteigen im Eis und die Gletschermassen dieser Erde dreht. Das fünfte Museum soll 2010 in Bruneck im Pustertal eröffnet werden. Die Museen sind wie ein Mosaik. Sie ergänzen sich gegenseitig. Ich bin ohne staatliche Hilfe seit 2007 mit dem Aufbau dieser Museen beschäftigt. Deshalb bezeichne ich das Projekt auch als meinen 15. Achttausender.
Welche Themen werden im fünften Museum behandelt?
Es wird eine Plattform für Bergvölker und ihre Kulturen mit Schwergewicht auf die Völker der Himalaya-Region. Wir wollen hier auch Gäste aus den Bergregionen empfangen, die über ihr Leben berichten.
Die werden dann wohl auch davon erzählen, welchen starken, von Menschen verursachten Veränderungen sie ausgesetzt sind.
Ich habe schon vor 30 Jahren gesagt, dass der Mensch im Kollektiv die Kraft hat, den ganzen Planeten Erde zu zerstören. Bei der Atombombe war dies offensichtlich. Die industrielle Entwicklung mit dem Kohlenstoffausstoß und dem Klimawandel folgt nach. Ich habe erlebt, wie die Gletscher schmolzen, wie die Felsen verwittern. Friedrich Dürrenmatt zeigt das Tun der Menschen anschaulich im Stück "Die Physiker". Es führt vor, dass es immer auch Risiken gibt und Menschen, die sich nicht an Abmachungen halten, die sich zum Schaden der Menschheit bereichern.
Sie glauben nicht, dass Klimaverhandlungen, wie sie im Dezember in Kopenhagen stattgefunden haben, einmal zu einem Ergebnis führen?
Ich kämpfe schon sehr lange für die Rechte, für die Autonomie der Tibeter und ich habe erlebt, wie schnell sich China bewegt: Nämlich überhaupt nicht. Und jetzt sollten die Chinesen verpflichtende Konzessionen bei den Klimaverhandlungen eingehen?
Sie müssen es. Es geht auch um ihr Überleben.
Ökopolitisch ließe sich nur etwas bewegen, wenn es eine Weltregierung gäbe, die neben China auch Indien, die USA und Brasilien zu Zugeständnissen zwingen könnte. Da es aber diese Weltregierung nicht gibt, wird es so schnell auch keine Lösung geben. Ich weiß, das klingt resigniert oder gar zynisch. Aber es ist meine Meinung.
Sie waren als Vertreter der italienischen Grünen im Europaparlament selbst eine Zeit lang politisch engagiert . . .
. . . ich war für Europa da, aber es war eine desillusionierende Angelegenheit. Oft ging es selbst in den eigenen Reihen nicht um die Sache, sondern um die Selbstdarstellung. Ich habe deshalb beschlossen, künftig Vorschläge zum Leben zu machen. Protestieren bringt nichts.
Was sind denn Ihre Vorschläge?
Ich habe Biohöfe aufgebaut: Zwei ältere Landwirtschaften und ein Weingut. Wir betreiben einen geschlossenen Kreislauf und sind Selbstversorger. Inzwischen werden die Höfe von Pächtern betrieben, die gut davon leben. Mein Ziel war es, jedem meiner Kinder einen Bauernhof zu übergeben. Ich möchte mit der Idee der nachhaltigen Landwirtschaft auch überzeugen. Das kann ich am Besten, in dem ich selber die Verantwortung für ein solches Projekt übernehme und beweise, dass es möglich ist. In der Politik gibt es zu viele Leute, die keine Verantwortung für das übernehmen müssen, was sie beschließen. Ist das Ihre Art , auf globale Prozesse eine Antwort zu geben?
Ja. Meine Bauernhöfe und meine Museen haben eine politische Aussage. Ich bin grün und liberal und setzte meine Stimme in der Öffentlichkeit ein. Jede Idee hat auch eine politische Kraft. Aber erst wenn sie realisiert ist.
Zurück zu den Veränderungen, denen die Alpen unterworfen sind. Die Prognosen gehen davon aus, dass der Klimawandel die Bergregionen besonders hart treffen wird.
Die Sache hat zwei Seiten. Wir können heute unsere Reben fast 100 Meter höher anbauen als früher. Damit haben wir eine zusätzliche Einnahmequelle. Andererseits dienen die Gletscher als eine Art Wasserspeicher für trockene Zeiten. In langen, heißen Sommern könnte deshalb das Wasser in den Alpen irgendwann knapp werden. Die Alpenregionen dürfen es nicht einfach abfließen lassen. Schließlich sind es nicht die Bergbewohner, die den Klimawandel verursachen.
Ihrer Meinung nach haben die Menschen in den urbanen Zentren den Klimawandel verursacht. Das gibt den Bergbewohnern das Recht, Geld für das Wasser zu verlangen. Ist das für Sie eine Frage der Gerechtigkeit? Nein, das wäre zu hoch gegriffen. Wer sagt denn, was gerecht ist? Wissen wir überhaupt, ob es sinnvoll ist, gegen den Klimawandel anzukämpfen? Wenn die Erdachse in 2000 Jahren eine andere Position haben wird, könnte dies eine Abkühlung und eine Eiszeit zur Folge haben. Spätere Generationen wären dann froh, wenn wir den Planeten ein wenig erwärmen. Aber diese Aussage klingt wohl wieder etwas zynisch.
Nicht alle Leute in den Bergregionen sehen in den Veränderungen auch eine Chance, wie Sie das vorhin andeuteten.
Glauben Sie mir, die Bergbewohner sind sehr anpassungsfähig. Sie sind schwierige klimatische Verhältnisse seit Urzeiten gewohnt. Sie beobachten genau, sie sind vernetzt und helfen einander. Wenn der Wildbach über die Ufer tritt oder der Hof brennt, sind die Nachbarn da. Sie reden miteinander und erfahren so, was sich im Wandel bewährt. Die Bergbewohner sind auch lernfähig. Das beweist das Interesse, das sie inzwischen meinen Bauernhöfen entgegen bringen. Die Veränderungen werden für die urbanen Zentren härter. Das Stadtleben braucht Regeln. Die Bergkultur regelt sich selbst. Sie hat eine große Anpassungskraft.
Aber die großen politischen Entscheidungen, die auch die Alpenregion betreffen, werden in den urbanen Zentren, also in den Hauptstädten gefällt.
Trotzdem muss alles unternommen werden, um auch den Alpen eine wirtschaftliche Basis zu sichern. Im Alpenbogen leben 14 Millionen Menschen, die durch gemeinsame Wertvorstellungen verbunden sind. Die sollten sich zusammentun und für ihre Interessen eintreten. Sonst wird immer alles in den fernen Hauptstädten und in Brüssel entschieden.
Die Alpbewirtschaftung ist wichtig für die Artenvielfalt und den Tourismus. Diese Art von Landschaftspflege muss honoriert werden. Doch das sind politische und wirtschaftliche Fragen, die für den ganzen Alpenraum gelten. Deshalb sollten auch die Länder des Alpenbogens, von Frankreich bis Slowenien, zusammenarbeiten. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Schweiz.
Die Zeiten für neue Subventionen, wie Sie es für die Alpbewirtschaftung vorschlagen, stehen schlecht.
Ich will überhaupt keine Subventionen. Was nicht aus eigener Kraft am Leben bleiben kann, ist bei der ersten Krise tot, wenn die Unterstützung gestrichen wird. Ich bin aber für eine faire Entschädigung für die Leistungen, die in den Alpenregionen erbracht werden.
Der Alpenraum als wirtschaftliche Macht ist ein schwer vorstellbarer Gedanke.
Zwischen einer Industrieregion und einer Region, die vollständig am Subventionstropf hängt, gibt es einen Mittelweg. Schauen Sie von dieser Burg auf Bozen hinunter. Südtirol ist in den Talböden eine leistungsfähige Wirtschaftsregion. In den großen Seitentälern wird intensiv produziert. Kommt man höher hinauf, spielt der Tourismus eine wichtige Rolle und die Bauern vor Ort haben ein Recht, dabei zu partizipieren. Aber das hat seine Grenzen.
Nämlich wo?
Ich habe der EU einen Vorschlag gemacht, der nun bei der UNO gelandet ist. Dahinter steht folgende Idee: Wir sollten ab einer bestimmten Höhe - in den Alpen wären das 2400 Meter überm Meer - gedanklich einen Zaun einziehen. Unterhalb dieser 2400-Meter-Grenze lebt und wirtschaftet der Mensch seit Jahrtausenden. Oberhalb jedoch ist er nur noch kurzzeitig Gast. Es darf dort keine festen Bauten mehr geben. Da oben ist die Welt der Stille. Wir sollten diese Erhabenheit als Wert erhalten.
Die Bestrebungen nehmen zu, in den Alpen bestimmte Regionen vor den menschlichen Aktivitäten zu schützen und auszugrenzen.
Ich halte nicht besonders viel von den Naturparks, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Es müsste vielmehr ein zusammenhängendes Gebiet neu vor Infrastrukturen geschützt werden. Über 2400 Metern Höhe ist die Natur besonders störungsanfällig.
Zurzeit läuft der Spielfilm "Nanga Parbat" in den Kinos. Darin wird Ihre Himalaya-Expedition von 1970 thematisiert, die Ihrem Bruder Günther das Leben gekostet hat. Sind Sie mit dem Film zufrieden?
Ja, hier wurde eine dramatische Brudergeschichte weder im Stil der Heimatfilme aus den fünfziger Jahren noch als dokumentarischer Film gedreht. Der Regisseur Joseph Vilsmaier hat die Aufgabe gut gelöst. Ich war als Berater dabei. Wir haben an den Originalschauplätzen gedreht. Es ist ein starker Film.
Werden Sie etwa als Filmer tätig werden, wenn die Museen fertig gestellt sind?
Die Filmerei interessiert mich. Ich verfolge aber auch andere Projekte.
Sie waren als Extremalpinist oft nahe am Tod. Wie gehen Sie mit der Angst vor dem Sterben um?
Ich war am Nanga Parbat nahe daran. Da habe ich zuletzt begriffen, dass es nicht so schlimm ist, zu sterben. Wenn es unausweichlich wird, lässt man sich in den Tod fallen. Aber unsere Aufgabe ist es zu überleben.
Kürzlich war zu lesen, dass Sie sich eine tibetanische Himmelsbestattung wünschen. Wie sieht die aus?
Es ist die schönste Bestattung, die ich kenne. Ein Mensch wird den Geiern übergeben, es bleibt nichts übrig. Damit fließt alles wieder zurück ins Leben. Zuletzt ist nichts und alles eins.
Zur Person
Reinhold Messner kam am 17. September 1944 in Brixen zu Welt. Bekannt wurde er als Extrembergsteiger. Am 8. Mai 1978 erreichte er als erster Mensch ohne Hilfe von Sauerstoff den Gipfel des 8848 Meter hohen Mount Everest. Messner ist auch der erste Mensch, der auf den Gipfeln aller 14 Achttausender stand - und der zweite Mensch, der die "sieben Summits" (die höchsten Berge aller Kontinente) erreichte. Er durchquerte zu Fuß die Antarktis, Grönland der Länge nach, Tibet, die Wüsten Gobi und Takla Makan.
Messner hat sich aber auch als Politiker, Buch- und Filmautor einen Namen gemacht. Er hat Dokumentarfilme gedreht, zahlreiche Artikel für Zeitungen und Zeitschriften sowie 50 Bücher veröffentlicht. Er sucht, wie er sagt, weniger die Rekorde als vielmehr das Ausgesetztsein in unberührten Naturlandschaften und das Unterwegssein mit einem Minimum an Ausrüstung. Er lebt mit seiner Familie in Meran und auf Schloss Juval in Südtirol, wo er Bergbauernhöfe bewirtschaftet, schreibt und museale Anlagen entwickelt.
Am Anfang seiner eindrucksvollen Laufbahn stand jedoch eine Tragödie: 1970 überstieg Reinhold Messner zusammen mit seinem jüngeren Bruder Günther den Nanga Parbat. Die beiden jungen Bergsteiger stiegen über die Rupalwand auf und wählten für den Abstieg die bis dahin noch nicht begangene Route über die Diamirwand. Bei diesem bergsteigerischen Gewaltakt kam Günther Messner ums Leben. Die Ursachen und Umstände seines Todes sind bis heute zwischen Reinhold Messner und anderen Teilnehmern der damaligen Nanga Parbat-Expedition umstritten. Joseph Vilsmaiers Spielfilm "Nanga Parbat", der zurzeit in den Kinos läuft, hält sich im Wesentlichen an Messners Darstellung des tragischen Geschehens.
Martin Arnold, geboren 1961, ist freier Journalist und Mitbegründer des schweizerischen Pressebüros Seegrund. Er lebt in St. Gallen.