Die Welt um Österreich dreht sich in atemberaubender Geschwindigkeit: Global erleben wir die gravierendsten Machtverschiebungen nach 1945, wenngleich - Gott sei Dank - schrittweise und friedlich; und Europa steht angesichts des Pleite-Risikos für einige Staaten an einer entscheidenden Weggabelung für seine weitere Entwicklung.
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Nur in Österreich stehen alle Räder still. Die ständigen Wahlen im heurigen Jahr haben die politische Arbeit der Regierung fast vollständig zum Erliegen gebracht. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der drängendsten Aufgabe dieser Koalition: der Budgetsanierung. Statt sich an einen Tisch zu setzen und auf der Ausgaben- und Einnahmenseite Nägel mit Köpfen zu machen, werfen SPÖ und ÖVP einander gegenseitig die unterschiedlichsten Einsparungs- und Steuererhöhungsideen an den Kopf.
Um Seriosität geht es dabei natürlich nicht, geschweige denn um einen konzisen Plan für eine nachhaltige Haushaltssanierung. SPÖ und ÖVP haben ausschließlich die Wahlen im Burgenland, in der Steiermark und in Wien im Auge. Um ja nicht den Wahlkämpfern in den Ländern in die Quere zu kommen, werden einfach die Budgetverhandlungen in den Spätherbst verlegt und der parlamentarische Fahrplan über den Haufen geworfen. Welche Steuern nun tatsächlich eingeführt beziehungsweise erhöht werden, wird selbstverständlich ebenfalls erst nach der letzten Wahl 2010 entschieden.
Nun ist nicht überraschend, dass sich die Regierung so verhält, wie sie sich verhält. Das entspricht schlicht der tieferen Logik kurzfristiger Politik.
Überraschend ist vielmehr, dass sich dagegen nicht lautstarker Widerstand erhebt. Und zwar von allen, die dafür kraft ihrer Funktionen berufen sind. Oder besser gesagt wären: Die wild entschlossene Möglichkeitsform ist und bleibt nämlich Österreichs liebste politische Ausdrucksform.
Und das Parlament wird zum Jahresende hin wieder das sorgenvolle Lied vom Durchpeitschen unzähliger Regierungsvorlagen in der letzten Sitzung vor den Weihnachtsferien anstimmen. Es klänge dann besser, wenn man sich heute gegen die politische Hinhaltetaktik wehrte. Bevorzugt alle Fraktionen geschlossen. Aber das ist leider reinste Fantasterei.