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Zwei türkische Welten: Fastenmonat in Ankara und im südostanatolischen Diyarbakir. | Pünktlich um 18 Uhr fährt der Bus von Ankara los. Er ist auf dem Weg nach Diyarbakir, an die 1000 Kilometer südöstlich der türkischen Hauptstadt gelegen, unweit der syrischen und irakischen Grenze. Zwei Dutzend Männer und vier Frauen, drei davon mit Kopftuch, sitzen in dem modernen Reisebus. Der Busbegleiter, ein junger Mann mit grünem Hemd und gestreifter Krawatte, verteilt Zeitungen und Erfrischungstücher. Der Tee kommt erst später. Es ist ja noch nicht dunkel.
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Ramazan ist die türkische Bezeichnung für den islamischen Fastenmonat - und auch ein häufiger Männername. Untertags soll streng genommen nichts gegessen und nichts getrunken, auch nicht geraucht werden. Erst wenn die Sonne untergegangen ist, kann gespeist werden. In jeder Stadt werden große Zelte aufgestellt, in denen erst nach Einbruch der Dunkelheit Essen ausgegeben wird - an Bedürftige, aber auch an jene, die es nicht zum Fastenbrechen nach Hause schaffen.
In den belebten Gassen rund um Kizilay im Zentrum Ankaras ist von Ramazan allerdings nichts zu merken. Vor den Lokalen - ein beliebter Treffpunkt vor allem für junge Menschen - sitzen am frühen Nachmittag Männer und Frauen unter Sonnenschirmen, die vor den warmen Herbststrahlen schützen, und trinken Tee oder Bier. Die Kellner zwängen sich zwischen den Tischen hindurch, servieren Süßigkeiten.
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Doch im Bus nach Diyarbakir entfernt sich diese Welt zunehmend. Die Männer haben keinen Reiseproviant mit, auch wenn die Fahrt vierzehn Stunden dauern wird. Sobald es dunkel wird, hält der Bus aber an einer Raststation, die Menschen strömen in die Halle, stellen sich in einer Schlange vor dem Büfett an. Nun dürfen sie essen: Linsensuppe, Eintopf mit Hühnerfleisch, dazu Pilav, ein Reisgericht. Geschnittenes Weißbrot steht in kleinen Plastikkübeln auf den Tischen.
Nach einer halben Stunde geht es weiter, der Busbegleiter schüttet ein paar Tropfen Erfrischungswasser in die Handflächen der Reisenden, bietet Wasser, Saft und Tee an. Ein Hollywood-Film läuft über die kleinen Bildschirme über den Sitzen. Gegen Mitternacht wird es still im Bus, die Menschen nicken ein. Ein dreijähriger Bub, mit seinem Onkel unterwegs, quengelt leise im Schlaf. Er wacht auf, als der Bus wieder an einer Raststation hält. Er vermisst seinen Onkel, der auf die Toilette gegangen ist. Ein anderer Mann nimmt das Kind auf den Arm und versucht es zu beruhigen.
Der letzte Halt vor Diyarbakir ist um vier Uhr in der Früh. Es ist auch die letzte Möglichkeit zum Essen, bevor die Sonne wieder aufgeht. Die Menschen strömen einmal mehr in die Halle, stellen sich an, setzen sich an die Tische, essen schnell. Dann noch eine Zigarette, bevor die Fahrt weitergeht.
Bald erleuchtet die Sonne die ausgetrockneten Bergrücken, spiegelt sich in einem langgezogenen See. Es ist eine karge, raue Landschaft; weidende Schafe und Ziegen sind auf der Suche nach ein paar Grasbüscheln. In den Ebenen dazwischen versuchen die Menschen Tomaten, Gurken, Oliven und Baumwolle anzupflanzen. An den Berghängen ducken sich Dörfer mit Häusern in der gleichen staubig-gelben Farbe wie die Umgebung.
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Kurz vor Diyarbakir wird die Landschaft flacher, werden die Häuser höher. Die Stadt ist in den letzten Jahren auf geschätzte 1,5 Millionen Einwohner angewachsen. So gut wie alle von ihnen sind Kurden. Nur die Soldaten und Polizisten seien meist Türken, heißt es.
Vor den Lokalen essende Menschen sind in Diyarbakir während des Ramazan kaum zu sehen. Und viele Bars, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, bleiben überhaupt geschlossen. Bier? Kein Problem. Allerdings im Supermarkt zu kaufen und zu Hause zu konsumieren. Doch ganz ohne Essen und Trinken tagsüber geht es auch in Südost-anatolien nicht zu. In den kleinen Lokalen, geschützt vor Blicken von der Straße, sitzen die Menschen bei einem Glas Tee und rauchen. Und so mancher nimmt auch auf der Straße einen Schluck Wasser zu sich. Zuvor blickt er sich aber um, ob niemand ihn sieht.