Das James-Webb-Weltraumteleskop der Nasa wird die ersten Lichtstrahlen einfangen, die je im Universum von den ursprünglichsten Sternen und Galaxien ausgesendet wurden, sagt der leitende Wissenschafter der Mission, Eric Smith.
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"Wiener Zeitung": Im Universum bewegen sich Objekte unterschiedlichen Alters ständig im sich ausdehnenden Raum. Wie schwer ist es, den Kosmos mit Teleskopen zu vermessen?
Eric Smith: Es ist äußerst schwer. Aber wir wissen bereits einiges. Was wir mit den teleskopischen Augen sehen, sind nur fünf Prozent des Universums. Es heißt, dass das sichtbare Universum alles enthält, was wir kennen, lieben und verstehen. Der weitaus größere Teil ist Dunkle Energie und Dunkle Materie. Über diese Komponenten haben wir noch viel zu lernen.
Wissen aktualisiert sich ständig. Noch in den 1950er Jahren berechnete der US-Astronom Edwin Hubble das Alter des Universums mit nur zwei Milliarden und nicht mit 13,81 Milliarden Jahren. Heute wiederum gibt es Zweifel an der Existenz der Dunklen Materie, da es für ihre Existenz nur Indizien gibt.
Das Schöne an den Naturwissenschaften ist, dass es laufend Paradigmenwechsel gibt. Edwin Hubble ist das beste Beispiel: Seine Entdeckung der Expansion des Weltalls hat im 20. Jahrhundert eine Jagd nach immer entfernteren Himmelsobjekten ausgelöst. Zuerst bauten Astronomen Observatorien, dann brachten sie Teleskope ins All. Ihr Inbegriff ist das Hubble-Teleskop, das seit 28 Jahren vom Orbit aus ein Segment des Nachthimmels beobachtet. Doch wir konnten damit nicht die entferntesten, ursprünglichsten Sterne und Galaxien erspähen, die ganz am Anfang kurz nach dem Urknall entstanden sind. Das James-Webb-Weltraumteleskop soll die monumentale Suche des 20. Jahrhunderts vervollständigen.
Was wird James Webb sehen?
Webb knüpft an, wo Hubble aufhört. Es sucht nach den ersten Himmelsobjekten, die Licht ausgesendet haben. Während Hubbles Spiegel einen Gesamt-Durchmesser von 2,4 Meter haben, spannen jene von Webb 6,5 Meter und haben eine Fläche von 25 Quadratmetern. Jedes Spiegel-Segment ist mit einer Goldschicht so dünn wie 1000 Atome überzogen. Würde man sie schmelzen und neu formen, hätte sie die Masse eines Golfballs. Über dem Gold liegt eine Schicht Glas, damit es keine chemische Reaktion mit der Atmosphäre eingeht.
Wir benötigen das Edelmetall auf unseren Spiegeln, weil es 99 Prozent des infraroten Lichts reflektiert. Für die Webb-Mission ist es somit die beste Substanz. Webb muss mehr Licht einsammeln als Hubble, weil es sehr weit entfernte, sehr alte Objekte betrachtet. Sie sind für uns nur im Infrarot-Bereich zu sehen, weil Licht mit zunehmender Distanz eine immer stärkere Rotverschiebung in Richtung größere Wellenlängen annimmt. Das heißt: Licht verließ diese frühen Himmelsobjekte in für uns sichtbaren Wellen vor Jahrmilliarden. Wenn es aber bei uns ankommt, hat es sich bereits ins Infrarote ausgeweitet.
Wie alt sind die ältesten Objekte, die Hubble gefunden hat?
Die ersten Himmelsobjekte, die wir kennen, formierten sich 400 bis 500 Millionen Jahre nach dem Urknall - in dieser Epoche enden Hubbles Apparaturen. Die ersten Galaxien entstanden aber bereits 100 Millionen Jahre, nachdem das Universum geboren wurde. Webb schaut sich diese Zeit an. Das ist ein wenig, als würden wir uns Fotos von Unter-Zweijährigen anschauen: Babys verändern sich dramatisch in den ersten Monaten und wir wollen dieses Lebensalter bei Galaxien finden. Es geht uns um die allerersten Objekte: Sie waren mit Wasserstoff- und Helium-Atomen gefüllt, die sich durch die Schwerkraft zusammenballten und Sterne und Galaxien bildeten.
Welche weiteren Erkenntnisse erhoffen Sie sich davon?
Es geht um die existenzielle Frage, wie wir hier her kamen. Wir wissen immer noch nicht, ob das Universum zuerst Schwarze Löcher bildete und sich Galaxien um sie herum formierten, oder ob Sternenmassen auf einander prallten und die Galaxien das Ergebnis solcher Kollisionen sind.
Welche Erkenntnisse erwarten Sie über entfernte Planetensysteme?
Mit Webb beobachten wir, wie sich Planetensysteme in unserer eigenen Galaxie bilden. Etwa könnten wir mit Infrarot durch Staubwolken hindurch blicken, weil diese Strahlung anders als sichtbares Licht Staub durchdringt. In kosmischen Staubwolken entstehen Sterne und Planetensysteme. Somit gewinnen wir mit dem Infrarot-Teleskop nicht nur ein Verständnis der universellen Anfänge, sondern auch Erkenntnisse über die Geburt von Sternen in der Milchstraße.
Das Webb-Teleskop ist ein Zeitreisender in mehrere Richtungen?
Das kann man sagen. Da Webb früheste Himmelskörper sieht, kann es auch nachverfolgen, wie diese Objekte im Lauf der kosmischen Zeit evolvieren. Zwar kann das Teleskop nicht ein- und das gleiche Objekt über die Jahrmillionen beobachten. Aber wir können anhand von Statistiken über Objekt-Typen ein Puzzle zu einem kompletten Bild zusammensetzen. Dadurch lässt sich die strukturelle Evolution im Lauf der universellen Zeit begreifen.
Gibt Webb Aufschluss über die Existenz von Leben im All?
Webb soll zwar nicht nach neuen Exoplaneten suchen, sondern die Atmosphären von bereits bekannten Kandidaten auf Zuträglichkeit für Leben prüfen. Ähnlich wie Hubble nimmt Webb einen Streifen des Nachthimmels unter seine Lupe, jedoch gibt es dort hunderte Kandidaten. Webb sucht in Planeten-Atmosphären nach Spuren von Sauerstoff, Methan, Wasser und Kohlendioxid, die ohne Lebensprozesse nicht entstehen. Insbesondere Wasser und Methan lassen sich im Infrarot-Bereich zielsicher aufspüren. Neue Kandidaten für mögliches Leben soll ein anderes Teleskop namens Tess einfangen, das ab 2019 Planetentransits vor Sternen in der kosmischen Nachbarschaft beobachten und einen Katalog für Webb zusammenstellen soll.
Die Hubble-Konstante ist eine fundamentale Größe der Kosmologie. Sie beschreibt die Rate der Expansion des Universums. Jedoch ist ein Streit über diese Geschwindigkeit entbrannt. Kann Webb weiterhelfen?
Webb verhilft uns zu einer besseren Einschätzung der Hubble-Konstante und kann helfen, die Fehlerquellen zu minimieren. Jedoch erforscht es nicht direkt die Dunkle Energie, die die Ausdehnung verursacht. Diese Mission wird ein nächster Satellit, den wir derzeit "W" nennen, antreten.
Webb sollte ursprünglich 2014 starten, dann heuer und jetzt am 30. März 2021. Technische Probleme und menschliche Fehler nennt die Nasa als Ursache. Welche?
Webb verschiebt die Grenzen des technisch Machbaren sehr weit. Uns war immer klar, dass es schwierig werden würde. Die jüngsten Herausforderungen gehen auf das Konto des Raumschiffes. Hier gab es Probleme in einem Element, das den Antrieb, die Elektronik und die Batterien beherbergt, die jetzt aber behoben sind. Problematischer ist es mit dem Sonnenschild für die Spiegel-Konstruktion. Testläufe am Boden zeigten, dass die Konstruktion verbesserungsbedürftig ist.
Was war kaputt?
Der Sonnenschild besteht aus fünf Schichten Kapton - ein plastikartiges Material, mit Aluminium und Silikon beschichtet, das bis zu 400 Grad Celsius aushält. Es hat die Fläche eines Tennisplatzes und schützt die sensiblen Geräte vor der Infrarotstrahlung. Weiters schützen spezielle Umhüllungen den Sonneschild vor den enormen Hitzen beim Start. Im Weltraum fährt ein Mechanismus, der an ein Maßband erinnert, das sich einrollt, wenn man den Knopf drückt, die Umhüllung zurück. Die nötigen Federn sind paarweise und in regelmäßigen Abständen zueinander angeordnet. Bei einem akustischen Test setzen wir die Hardware einem Geräuschpegel wie beim Start aus. Tonwellen erzeugen Bewegung und diese löste einige Schrauben und Muttern. Um sicherzugehen, mussten wir alles neu installieren. Mit dem Rückroll-Mechanismus wollten unsere Auftragnehmer aus der Industrie verhindern, dass die Umhüllung zerreißt, aber vielleicht wurde nicht alles zu Ende gedacht.
Das Budget ist auf 8,6 Milliarden Euro gestiegen. Irritiert das?
Es ist eine hohe Summe für den Steuerzahler für eine wissenschaftliche Mission, beinhaltet aber fünf Jahre im Kosmos. Wir sind der Ansicht, dass es das Geld wert sein wird, weil die Teleskope stark sind und wir wissen, dass sie funktionieren. Ohne die Infrastruktur können wir ihre Potenz nicht nützen.
Zur Person: Eric Smith ist leitender Wissenschafter der James-Webb-Mission der Nasa. Dabei soll ein Teleskop 1,5 Millionen Kilometer von der Erde ab 2021 das erste Licht des Weltalls aufspüren. Das nach dem zweiten Nasa-Geschäftsführer benannte High-Tech-Observatorium beherbergt auch Technologie aus Österreich.
Eric Smith besuchte vor wenigen Tagen die Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union in Wien und referierte im Naturhistorischen Museum über die 8,6 Milliarden Euro schwere Mission