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Reißt die Mittelmäßigkeit das Genie nieder - oder wird das Genie hellhörig?

Von Brigitte Pechar

Analysen

"Die Koalition der Mittelmäßigkeit bringt das Genie auf das Schafott." Eines der Lieblingszitate von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer.


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Dass diejenigen, denen es in einer Diskussion hingeworfen wird, nicht unbedingt von Wohlwollen und Freude am Diskurs erfüllt werden, liegt auf der Hand. Zumal mit dem "Genie" ja wohl nur einer gemeint sein kann. Ein honoriger Ex-Spitzenpolitiker der SPÖ führt die zögerliche Bereitschaft der roten Länderchefs, an Sitzungen des Bundesparteipräsidiums teilzunehmen, unter anderem darauf zurück. Mag sein, dass einige der SPÖ-Granden derzeit wenig erbaut sind, einem Genie zur Seite zu springen.

Als Gusenbauer als Oppositionschef quer durch alle Bezirke Österreichs reiste, hat er, der schon in der Sozialistischen Jugend durch seine Belesenheit Mitkombatanten in die Flucht geschlagen hatte, eine unbekannte Seite gezeigt: Das Zuhörenkönnen.

Jetzt, in den Tagen wo ihm von Gabi Burgstaller über Hannes Gschwentner bis zum Betriebsrat öffentlich Ultimaten gestellt oder das Ende der Gefolgschaft angekündigt werden, wird sich zeigen, wie sehr es die für ihren Zentralismus bekannte Partei schafft, die Genossen wieder hinter einer Linie und ihrem Vorsitzenden zu versammeln. Und ob Gusenbauer noch einmal der Gewaltakt gelingt, die Funktionäre durch offene Gespräche für sich zu gewinnen.

Da bedarf es auch des Willens eines Mannes. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat seinen früheren Ziehsohn Werner Faymann nicht ungern von der Hauptstadtauf die Bundesbühne entsandt. Jetzt wird der Name Faymann immer wieder ins Spiel gebracht, wenn es um eine mögliche Ablöse Gusenbauers als SPÖ-Vorsitzender geht. Ob Häupl in seiner Unterstützung so weit geht, kann derzeit noch nicht klar eingeschätzt werden.

Die nächste diesbezügliche Wahl steht im September oder Oktober beim Bundesparteitag an. Hat Gusenbauer bis dahin keine Erfolge in der Auseinandersetzung mit der ÖVP vorzuweisen oder auch sonst Stärke gezeigt, könnte es durchaus sein, dass die Partei einen anderen an die Spitze katapultiert. Faymann gilt als smarter Politiker mit guten Verbindungen zu Medien.

Auch Pensionistenchef Karl Blecha scheint einem Wechsel an der Parteispitze durchaus etwas abgewinnen zu können. Er plädiert nämlich für eine Funktionstrennung zwischen Kanzler und Parteivorsitz. Als Beispiel dafür gilt die Übergabe der Kanzlerschaft 1986 an Franz Vranitzky durch Fred Sinowatz, der den Parteivorsitz behielt (bis 1988). Ob dadurch aber die Regierungsarbeit erleichtert wird, bleibt abzuwarten. Immerhin ist anzunehmen, dass der SPÖ-Chef auch Kanzler sein möchte.

Das obige Zitat stammt im Übrigen vom französischen Revolutionsführer Saint-Just in seiner Verteidigungsrede für Robespierre - ehe beide hingerichtet wurden. Seite 4