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Burgenlands Polizeichef Doskozil über Flüchtlinge, Zäune und eine mögliche Zukunft in der Politik.
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Wien. Am 27. August 2015 wurde ein Schlepper-Lkw auf der Ostautobahn entdeckt, in dem 71 Flüchtlinge erstickt waren. Hans Peter Doskozil, seit 2012 Polizeichef im Burgenland, leitete die Ermittlungen und sorgte für eine rasche Aufklärung. Von einem Moment auf den anderen war er österreichweit bekannt. Wenige Tage später verstärkte sich der Zustrom der Flüchtlinge, mit Deutschland als Ziel. Bis Mitte Oktober wanderten rund 300.000 Menschen nach und durch Österreich. Doskozil managte die Erstversorgung im Burgenland. Mit seiner Arbeit hat er sich für höhere Ämter empfohlen und gilt seither als Kaderreserve der SPÖ. Zuletzt wurde er mit dem Verteidigungsministerium von Gerald Klug (SPÖ) in Verbingung gebracht.
"Wiener Zeitung":Herr Doskozil, wenn Sie auf das vergangene Jahr zurückblicken, welche Bilder bleiben Ihnen in Erinnerung?Hans Peter Doskozil
: Am Tag, an dem der Fall der 71 toten Flüchtlinge im Lkw bekannt wurde, war ich noch mit der Ministerin (Johanna Mikl Leitner, Anm.) in Nickelsdorf bei der Sammelstelle, wo das Rote Kreuz schon seit Mai Flüchtlinge versorgt hat. Damals kamen noch 300 bis 400 Menschen pro Tag über die Grenze. An dem Tag ist eine Freiwillige bei der Ansprache der Ministerin wegen der Belastung weinend zusammengebrochen. Ich habe bis dahin nicht geglaubt, dass das den Leuten so nahe geht.
Sie wirken gefasst. Wie gehen Sie persönlich mit der Situation um?
Ich habe immer versucht, das nicht an mich heranzulassen. Natürlich sind die Eindrücke imposant, wenn tausende Menschen über die Grenze kommen. Aber es gehört nicht zu meinen Aufgaben, mich davon beeinflussen zu lassen. Ich muss die Situation in den Griff bekommen.
Wenige Tage nach dem Unglück der 71 Flüchtlinge entschieden Deutschland und Österreich, Flüchtlinge durchreisen zu lassen. Im Nachhinein ist man immer gescheiter, aber: War das die richtige Entscheidung?
Wir haben damals schon Flüchtlingszahlen gehabt, die alarmierend waren. Es war klar, dass bis zu 80.000 Menschen einen Asylantrag stellen werden. Allein 14.000 Flüchtlinge sind damals bereits im Burgenland über die Grenze gekommen. Dass die Dimension weiter anwächst, hat niemand erwartet.
Die Innenministerin hat bereits im Sommer 2014 vor einem großen Flüchtlingsstrom gewarnt.
Es hat damals keiner wahrhaben wollen. Die Durchreise lässt sich aber argumentieren: Wenn ein Flüchtling seine Fingerabdrücke abgibt, hat dieser die Chance, seine Identität zu wechseln. Wir können das nicht nachprüfen. Eventuell noch über die Sprache. Dadurch bekommt die Frage der Registrierung eine andere Bedeutung. Wenn der Flüchtling nicht in Österreich bleiben möchte, aber trotzdem registriert wird, darf er sich nach dem Verfahren in Österreich zudem frei bewegen und könnte ungehindert nach Deutschland weiterreisen. Hinzu kommt, dass die Registrierung für Flüchtlinge ein Druck gewesen wäre, vielleicht zurück nach Ungarn zu müssen. Das ist ein taktisches Spiel, denn ein Großteil hätte dann einen Asylantrag in Österreich gestellt, was das System hätte zusammenbrechen lassen. Das Durchlassen ist auch schengenkonform, womit ich ganz offensiv sage, dass es gerechtfertigt war. Und: Gott sei Dank, dass wir den Sommer erlebt haben.
Inwiefern?
Syrien hat 20 Millionen Einwohner. Irgendwann wird sich die Situation geben wie in Afghanistan oder Tschetschenien. Aber was passiert, wenn Afrika ein Problemfall wird? Dort gibt es, so hört man, 200 bis 400 Millionen Menschen, die fluchtbereit sind. In Afrika herrscht eine Terrorsituation mit Boko Haram, die Sahelzone weitet sich aus, und dort bekommt man mit, wie es woanders ist. Wir reden vordergründig von Asyl, aber wir müssen uns langsam mit dem Thema größerer Migrationsströme, die einer Völkerwanderung gleichkommen, auseinandersetzen. Darauf braucht man Antworten.
Dafür braucht es zunächst einmal eine geeinte Europäische Union in dieser Frage.
Genau, der Nationalstaat alleine kann es nicht richten. Es braucht Aufnahmezentren an den Außengrenzen und in den Drittstaaten, um das Asylverfahren dort abzuwickeln. Zumindest so weit, um abschätzen zu können, ob die Chance, dass die Person in Europa Asyl bekommen kann, gegeben ist. Dann muss sich die EU zu einer Quote durchringen. Die kann sich an der Bevölkerung oder an der Wirtschaftskraft orientieren. Das wäre richtungsweisend, wenn eine einzelne Behörde die Verfahren führt und nicht mehr jeder Staat für sich.
Stattdessen werden derzeit Zäune hochgezogen.
Ein Zaun löst das Problem sicher nicht. Da kommen Leute an, die unbedingt nach Europa wollen. Sie nehmen in Kauf, dass sie bei ihrer Reise über das Meer sterben können, und werden sich in der großen Masse, in der sie unterwegs sind, bestimmt nicht von einem Zaun aufhalten lassen.
Politiker fordern Obergrenzen. Rechtlich unsinnig, aber moralisch gesehen: Wie viel Zuwanderung verträgt eine Gesellschaft?
Die Frage nach einer Obergrenze erhebt sich deshalb, weil die europäischen Staaten nicht nachhaltig genug in der Lage sind, Entscheidungen - und da meine ich rechtskräftige und durchführbare Ausweisungen, in entsprechender Form durchzuführen. Wir haben unsere Kapazitätsgrenze nicht erreicht, weil die Verfolgten hier sind. Sondern weil uns die - zugegeben nicht ganz saubere Trennung - zwischen Flüchtling und Wirtschaftsflüchtling nicht gelingt. Dann kommt es zur Diskussion um eine Obergrenze. Die lehne ich persönlich entschieden ab, weil es nicht geht, dass man Menschen, die Schutz brauchen, zurückweist. Dann wird man sich ehrlicherweise fragen müssen, ob wir die Genfer Flüchtlingskonvention wollen oder nicht. Wenn wir sie wollen und ich glaube, sie gehört zu unseren europäischen Grundwerten, dann muss das Verfahren bereits an den Außengrenzen starten.
Ihre Expertise könnten Sie vielleicht bald als Minister einbringen. Seit den von Ihnen geleiteten Ermittlungen zum Unglück der 71 Flüchtlinge werden Sie als Personalreserve der SPÖ gehandelt. Reizt Sie die Politik?
Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass es mich reizen würde. Aber es muss zu meiner Person passen. Es gibt nichts Konkretes und ich habe einen tollen Beruf, den ich bis zur Pension behalten kann, daher sehe ich das ganz gelassen.
Wäre Ihnen das Verteidigungs- oder das Innenministerium lieber?
Das Thema Sicherheit liegt nahe an meinem Metier.
Zur Person
Hans Peter Doskozil (45)
1989 begann Doskozil als Polizist in Wien zu arbeiten und studierte Jus. Nach kürzeren Stationen arbeitete er 2008 im Büro von Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl, das er 2010 auch leitete. Seit 2012 ist Doskozil Polizeichef im Burgenland.