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Reizvoll und hinterhältig

Von Stefan Weiss

Reflexionen

Nach dem chinesischen Kalender ist heuer ein Jahr der Schlange. Schlangenjahre gelten in China als konfliktgeladen. Aber welche kulturelle Bedeutung hat dieses Tier eigentlich für die westliche Welt?


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Es waren nicht ganz uneigennützige Neujahrswünsche, die US-Präsident Barack Obama im Februar allen auf der Welt lebenden Chinesen aussprach. Bei der US-Präsidentschaftswahl im letzten Jahr hätte Umfragen zufolge die überwiegende Mehrheit der in der Volksrepublik China lebenden Menschen Obama die Stimme gegeben. Auch bei den gut 3,4 Millionen US-Chinesen hat Barack Obama laut Wahlanalysen ein gutes Standing. "Frieden, Wohlstand, eine gute Gesundheit und Glück", ließ der US-Präsident für das beginnende Schlangenjahr ausrichten, das im chinesischen Mondkalender alle zwölf Jahre auftritt.

Im Jahr der Schlange Geborene gelten in China als klug und tiefsinnig. Politisch beschreiben As-trologen diese Jahre als besonders konfliktgeladen. Der Blick zurück scheint diesen Eindruck zu bestätigen: Höhepunkt des RAF-Terrors im Deutschen Herbst 1977, der Fall der Berliner Mauer 1989, schließlich die Terroranschläge vom 11. September 2001.

Alles nur Aberglaube?

Oder ist doch etwas dran an den politisch turbulenten Schlangenjahren? Schließlich hat auch 2013 bisher einiges an politischer Brisanz gebracht. Vor allem die USA standen in der ersten Hälfte des Schlangenjahres im Zentrum des weltpolitischen Geschehens. Da war zunächst der sich zuspitzende Nordkorea-Konflikt, wenig später der Terroranschlag auf den Boston-Marathon, nun dominiert seit Monaten einer der größten Spionage-Skandale der Geschichte die politische Diskussion. Auch 2013 lässt bisher die Vermutung zu, dass das fernöstliche "Jahr der Schlange" vor allem für den Westen periodische Umbrüche bringt. Aber welche kulturgeschichtliche Bedeutung hat die Schlange überhaupt für die westliche Welt?

Die Schlange hat den Menschen seit Urzeiten fasziniert und geprägt, was sich in alten Mythen und Naturreligionen besonders deutlich zeigt. Vorchristliche Schlangenkulte finden sich nahezu in allen Regionen der Erde. Besonders verbreitet war das religiöse Motiv der Schlange in Mesopotamien und im alten Ägypten, also im direkten Umfeld des biblischen Israel. In Palästina leben ungefähr 36 meist ungiftige Schlangenarten, aber auch Giftnattern, wie die Wüstenkobra, sind in dieser Region heimisch. Die Schlange hatte im Alten Orient eine Vielzahl an Bedeutungen. Sie stand für Weisheit und Leben, aber aufgrund ihrer Giftigkeit auch für den Tod und das Sterben. Wegen ihrer Eigenschaft der regelmäßigen Häutung war die Schlange auch stets Symbol für Erneuerung und Regeneration. Vermutlich galt das sich schlängelnde Reptil aufgrund seiner phallischen Form auch als Fruchtbarkeitszeichen.

Dementsprechend ambivalent wurde die Schlange symbolisch aufgeladen. Mit Apophis verehrten die Ägypter einen todbringenden Schlangengott, die Uräus-Schlange jedoch, die der Pharao an seiner Krone trug, hatte auch einen schützenden Aspekt. Ob die legendäre Kleopatra, bekannt für ihre überragende Schönheit, den eleganten Schlangentod gewählt hat, ist umstritten. Fest steht, dass der Mythos vom tödlichen Schlangenbiss in zahlreichen künstlerischen Darstellungen bis heute gerne genährt wird. Im Grunde galt die Schlange als Zeichen göttlicher Macht, was sich auch in den biblischen Erzählungen widerspiegeln sollte.

Die biblische Karriere der Schlange beginnt mit der Schöpfungsgeschichte. Als listigstes aller Tiere verführt sie Eva dazu, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu nehmen und auch Adam davon zu geben. Da Gott dies bei Todesstrafe verboten hatte, verdammt er die Schlange dazu, fortan auf dem Boden zu kriechen. Erst durch die List der Schlange erkennen Adam und Eva ihre Nacktheit und ihren Ungehorsam gegenüber Gott. "Die Schlange wird in der Genesis als "klug" bezeichnet, auf Hebräisch "’arum". Das deutet auf die Verbindung der Schlange mit der Weisheit hin, ist aber auch ein Wortspiel mit dem hebräischen "’arom", was "nackt" bedeutet", so die Theologin Agnethe Siquans der Universität Wien. Der Sündenfall sei weder der Wille Gottes, noch ein Betriebsunfall der Schöpfungsgeschichte, wie Siquans erklärt, sondern Folge des freien Willens der Menschen, die sich in dieser von Gott gegebenen Freiheit gegen ihn wenden würden. Diese Ursünde wird im christlichen Glauben durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz getilgt.

Im Exodus begegnet uns die Schlange erneut, als Mose und sein Bruder Aaron vor den Pharao hintreten und ihn auffordern, ihr versklavtes Volk ziehen zu lassen. Gott verwandelt, als Beweis seiner Macht über den Pharao, Aarons Stab in eine mächtige Schlange, welcher die ägyptischen Zauberer mit ihrer Magie nichts entgegen zu halten haben. Nach dem Auszug aus Ägypten werden die Israeliten auf ihrem Marsch durch die Wüste von Schlangen geplagt. So trägt Gott Mose auf, eine eherne Schlange auf einem Pfahl zu errichten, die den Geplagten als Schutz dienen soll. Die Schlange am Pfahl gilt im Christentum als Vorausdeutung auf die Kreuzigung Christi, die dieser im Johannes Evangelium selbst vorweg nimmt: "Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben,
das ewige Leben haben." (Joh. 3, 14-15)

Heilkraft und Lüge

Die um den Stab gewickelte Schlange begegnet uns auch heute noch. So soll der griechische Gott der Heilkunde, Asklepios, zu deutsch Äskulap, stets mit einem von einer Natter umwundenen Stock umhergewandert sein. Der Äskulapstab hielt Einzug als Symbol der Ärzte und Apotheker.

Ansonsten scheint von der positiven Bedeutung der Schlange in der westlichen Welt nicht viel geblieben zu sein. Stattdessen begegnet uns häufig die sprichwörtliche "falsche Schlange", das listige "sich Durchschlängeln", oder "das mit gespaltener Zunge Sprechen" als Synonym für die Lüge. Letzteres geht auf eine Redewendung der nordamerikanischen Ureinwohner zurück, bei denen besonders die Klapperschlangen eine wichtige kulturelle Bedeutung einnahmen. In der christlichen Wirkungsgeschichte überwog letzten Endes die negative Deutung der Schlange. So wurde sie vor allem als Personifikation Satans gesehen, wie beispielsweise in der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes.

Warum aber hat sich dieses Negativbild derart im westlichen Bewusstsein festgesetzt? Die Theologin Agnethe Siquans kann sich dies nur dadurch erklären, dass sich die reale Erfahrung mit Giftschlangen und der negative Aspekt des biblischen Schlangenbildes gegenseitig verstärkt haben: "Symbole in der Bibel sind immer auch eng mit alltäglichen Erfahrungen verbunden." In der germanischen Mythologie gehörte die Midgardschlange, ein weltumspannendes Seeungeheuer, zu den drei germanischen Weltfeinden und wurde vom Donnergott Thor bekämpft. Dieses heidnische Negativbild der Schlange wurde womöglich durch die Christianisierung zusätzlich bestätigt und verstärkt.

Größer, bunter, gefährlicher. Keine Frage, Schlangen faszinieren uns wohl gerade aufgrund ihrer Vielfalt. Dennoch nähern wir uns den Reptilien, wenn überhaupt, lieber durch die schützende Scheibe des Terrariums. Was bei vielen bleibt, ist ein diffuses Unbehagen, eine Art Urangst, die sich schwer beschreiben lässt. "Tatsächlich gibt es Gegenstände, Tiere und Situationen, die in der Evolutionsgeschichte Furchtobjekte waren, vor denen man sich hüten musste um das Überleben der eigenen Art zu sichern", meint die Psychotherapeutin Susanne Trugina-Weber, die auch Angststörungen, sogenannte Phobien behandelt.

Ängste gehören unweigerlich zu unserem Leben und schützen uns vor Gefahren. Wann aber wird Angst zur Phobie? "Häufig sind Phobien irrational, das heißt die Person weiß zwar, dass die Angst unbegründet ist - etwa beim bloßen Ansehen des Bildes einer Schlange - kann diese aber nicht unterdrücken", so die Therapeutin. Problematisch werden Phobien dann, wenn wir den Auslösern im täglichen Leben häufig begegnen, wie etwa Hunden. Abhilfe verspricht meist eine Konfrontationstherapie, die zumeist, wie auch bei Kindern üblich, schrittweise passiert. Hier wird etwa mit Fotos des Angstobjekts begonnen und langsam gesteigert, bis man dem Objekt physisch möglichst angstfrei begegnen kann. Da die über längere Zeit andauernde Konfrontation mit Tieren angstreduzierend wirkt, ist es für Trugina-Weber auch denkbar, dass Menschen, die beispielsweise eng bei Spinnen oder Schlangen aufwachsen, weniger Phobien entwickeln, als jene, die den Tieren selten bis gar nicht begegnen.

Urangst vor dem Tier

Warum aber setzen wir uns gerne dem Nervenkitzel aus, betrachten und berühren Tiere, vor denen wir uns eigentlich fürchten? Das sei etwa wie mit dem Horrorfilm und der Geisterbahn, meint Trugina-Weber: Nervenkitzel, Neugierde, Herausforderung. Aber auch zur Aufbesserung des eigenen Selbstwertes sei dieses Verhalten da. "Wir Menschen prahlen gerne mit dem, was für andere unheimlich und gefährlich ist. Oft ist es auch die Suche nach Anerkennung und Bewunderung, die vielleicht anders nicht befriedigt werden kann." Kulturell oder religiös konstruiert sei die Furcht vor Schlangen aber keineswegs, so die Psychotherapeutin, vielmehr handle es sich um ein evolutionsgeschichtlich bedingtes Phänomen.

Die Schlange des Westens bleibt jedenfalls ein ambivalentes Wesen, bei dem die negative Sichtweise überwiegt. Auch 2013 wird wohl als turbulentes Schlangenjahr in die Geschichte eingehen. 2014 wird nach dem chinesischen Mondkalender ein "Jahr des Pferdes", das für Aufbruch, Bewegung und finanzielle Sicherheit steht. Ob dann auch dem Westen ein Jahr der wirtschaftlichen Stabilität und konstruktiven Entwicklung bevorsteht, wird sich zeigen. Zumindest kulturgeschichtlich steht das Pferd unter besseren Vorzeichen als die ungeliebte Schlange. Ein Umstand, der optimistisch stimmt.

Stefan Weiss, geboren 1990, studiert Politikwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien. Er betreibt einen Blog für Politik, Kunst und Kultur und schreibt als freier Journalist für Print- und Onlinemedien.