Experten warnen davor, dass sich konjunkturelle Arbeitslosigkeit verhärtet.
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Brüssel/Wien. Konjunkturflaute und Schuldenkrise treiben die Arbeitslosigkeit in Europa in Rekordhöhen. Im Oktober waren in der EU 25,9 Millionen Menschen ohne Beschäftigung - 204.000 mehr als im Vormonat; 2,2 Millionen mehr als vor einem Jahr.
Österreich bleibt indes arbeitsmarktpolitisch die Insel der Glückseligen. Während Eurozone und EU-27 mit 11,7 beziehungsweise 10,7 Prozent Rekord-Arbeitslosenquoten erreichten, ging hierzulande die Arbeitslosigkeit zurück. Mit 4,3 Prozent - niedrigster Wert in Europa - lag sie im Oktober um 0,1 Prozentpunkte niedriger als im Monat davor. Bei der Jugendarbeitslosigkeit liegt Österreich mit 8,5 Prozent auf Platz zwei hinter Deutschland (8,1). Am anderen Ende der Skala rangiert Spanien mit einer Arbeitslosigkeit von 26,2 Prozent - Plus 0,4 Prozentpunkte gegenüber September. Zweites Sorgenkind bleibt Griechenland (25,4 Prozent).
Diese Situation dürfte sich noch weiter verschärfen, befürchtet Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS), denn gerade in Südeuropa sei in Sachen Konjunktur keine Besserung in Sicht. Hofer sieht eine erhebliche "Gefahr, dass aus konjunktureller Arbeitslosigkeit strukturelle wird, sich die Arbeitslosigkeit also verfestigt".
Auch Werner Eichhorst vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) attestiert gerade Spanien ein ernsthaftes "strukturelles Problem". Ein Bauboom - der sich mittlerweile als Blase entpuppt hat - habe für ein paar Jahre die Probleme überdeckt, "jetzt ist es aber noch schlimmer als vor zehn Jahren". Spanien, aber auch die anderen krisengeschüttelten südeuropäischen Länder bräuchten nicht nur eine rasche konjunkturelle Erholung, sondern auch rasche Reformen. Andernfalls sehen die Experten die Gefahr, dass die Krise geht, die Arbeitslosigkeit aber bleibt - Wirtschaftswissenschafter sprechen dann von Hysterese.
Wenige arbeitslose Junge dank dualem Bildungssystem
Ein gewaltiges Problem gerade in Spanien und Griechenland ist auch die horrende Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent. Dass diese in Österreich und Deutschland so niedrig ist, sei "ein Zeichen", sagt IHS-Experte Hofer zur "Wiener Zeitung", denn beide Länder praktizieren ein duales Bildungssystem. Auch Eichhorst sieht einen Schlüssel für hohe Jugendbeschäftigung im Nebeneinander von beruflicher und hochschulischer Bildung: "Das garantiert der Industrie eine hochqualifizierte Stammbelegschaft" - mit ein Grund für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in Deutschland und Österreich.
Einen weiteren Vorteil der deutschen und österreichischen Industrie sehen beide Experten in der Flexibilität der jeweiligen Arbeitsmärkte. So konnte etwa mittels Kurzarbeit ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit während des Höhepunkts der Krise 2008/09 vermieden werden. Möglich sei das aber nur wegen eines funktionierenden Miteinanders von Arbeitnehmern und Arbeitgeber, also der Sozialpartnerschaft.
Deutschland und Österreich hätten Systeme, "die insgesamt gut mit den Problemen zurecht kamen", so Eichhorst. Daher habe sich die für beide Länder so wichtige Exportwirtschaft relativ rasch erholt.
Adaptierbar sind diese Systeme für die Krisenländer aber nur bedingt. Sozialpartnerschaft und duales Bildungssystem sind seit Jahrzehnten gewachsen und nur schwer zu übernehmen, sagen Eichhorst und Hofer unisono. Allerdings könnten Strukturreformen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durchgeführt werden, um Südeuropa wettbewerbsfähiger zu machen. Aber das braucht Zeit.
"Kurzfristig bin ich für Südeuropa nicht optimistisch", sagt Hofer. Vor allem müsse zuerst die Eurokrise überwunden werden. Auch Eichhorst glaubt, dass jetzt gesetzte Maßnahmen "wohl erst nach 2014 Wirkung entfalten". Für Länder wie Österreich und Deutschland, "die gut durch die Krise gekommen sind", erwartet sich der deutsche Arbeitsmarktexperte im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zumindest keine Verschlechterung - "trotz schwächelnder Konjunktur".