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Volksparteien verlieren an Boden. | Linke als fünfte Macht etabliert. | Wer hätte das gedacht? Am Ende eines allseits als gemächlich bis langweilig empfundenen Wahlkampfs steht eine Wahl der Superlative: 71 Prozent bedeuten die niedrigste Wahlbeteiligung in der deutschen Nachkriegsgeschichte; für die Sozialdemokraten sind 23 Prozent der Zweitstimmen ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegsgeschichte, ihr Minus von 11,2 Prozentpunkten ist zugleich der größte Verlust, den eine Partei jemals hat einfahren müssen.
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Auf der anderen Seiten stehen FDP, Linke und Grüne, deren Ergebnisse von 14,6, 11,9 sowie 10,7 Prozent ebenfalls neue Rekordstände bedeuten - im Gegensatz zur SPD allerdings im positiven Sinne. Einzig die Union aus CDU und CSU hat es am Wahlabend nicht vermocht, einen Rekord aufzustellen. 33,8 Prozent stellen für sie "nur" das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte dar.
Was sich schon 2005 abgezeichnet hat, fand mit diesem Ergebnis seine Fortsetzung: Die beiden Volksparteien verlieren an Boden: Noch 1976 konnten CDU/CSU und SPD (aus heutiger Sicht unglaubliche) 91,2 Prozent der abgegeben Stimmen auf sich vereinen. Dieses Mal waren es gerade noch 56,8 Prozent - kaum mehr als die Hälfte. Auch das, wen wundert es, ein neuer Minusrekord.
Kleine sind Gewinner
Gewinner sind die kleinen Parteien, in Größe, aber auch in Zahl. Die Linkspartei hat sich als fünfte Partei in Deutschland etabliert; ihr ist es zum zweiten Mal in Folge gelungen, besser als die Grünen abzuschneiden und vierte Kraft im Parlament zu werden. In zwei der 16 deutschen Bundesländer ist sie stärkste Partei. Und auch in der Gruppe der Arbeitslosen. Keine Frage, die politische Landschaft in Deutschland ist bunter und unübersichtlicher geworden.
Der Umgang mit dieser neuen Unübersichtlichkeit bereitet Parteien wie Wählern allerdings Probleme. Koalitionsfragen nahmen breiten Raum im Wahlkampf 2009 ein: Die FDP hatte eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen im Vorfeld ausgeschlossen; für die Grünen war nicht minder klar, dass der "Dampfer nach Jamaika" (so ihr Spitzenkandidat Jürgen Trittin) nicht ablegen würde, die Grünen also in keine Koalition mit Union und FDP gingen. Einer Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei hatte schließlich die SPD - vermutlich letztmalig allerdings - eine Absage erteilt. Kurzum: Jedes denkbare Dreierbündnis hatte mindestens einer der Beteiligten ausgeschlossen, übrig blieben - ganz wie 2005 - nur schwarz-gelb oder schwarz-rot als Optionen. Damals wurde es schwarz-rot, dieses Mal schwarz-gelb.
Politischer Inhalt fehlte
Solche Fragen des "Wer mit wem" und vor allem des "Wer nicht mit wem" wurden eifriger diskutiert als alle inhaltlichen Fragen. Die Union unter Angela Merkel hatte sich für einen präsidialen Wahlkampf entschieden. Das hatte seinen Preis: Viele Unionsanhänger haben dieses Mal der FDP ihre Stimme gegeben, um das Ende der großen Koalition zu besiegeln. Diesen Preis hat Angela Merkel gerne bezahlt: Sie bot kaum Angriffsfläche, was dem Wahlkampf der SPD Züge von Schattenboxen verlieh. Merkel zu stellen, gelang der SPD und ihrem Frontmann Frank-Walter Steinmeier nicht.
Für die SPD endete das deutsche Superwahljahr 2009 mit einem Desaster: 23 Prozent für eine stolze, traditionsreiche Partei. Viele ihrer Anhänger haben ihr dieses Mal die Stimme verweigert und sind zu Hause geblieben. Viele sind zur Linkspartei abgewandert. In der Gruppe der Arbeiter - ihrer früheren Kernanhängerschaft - liegt die SPD erneut hinter der Union und nur noch knapp vor der Linkspartei. In der Gruppe der Arbeitslosen liegt sie schon dahinter. Das Herz der SPD - die Frage der sozialen Gerechtigkeit - es schlägt nicht mehr für sie. Nach der Überwindung der Schockstarre kann es für die SPD nur heißen: "Gehen Sie zurück auf Los". In der Opposition wird sich die Partei programmatisch erneuern müssen: Denn wofür steht die SPD? Auch ihr Verhältnis zur Linkspartei wird sich in der Opposition - geeint in der Gegnerschaft zur "bürgerlichen" Regierung - leichter überdenken lassen.
Die Große Koalition hat das Land entpolitisiert. Gerade junge Wähler sind noch seltener zur Wahl gegangen als bei früheren Wahlen, sie haben auch seltener als ältere Wähler ihre Kreuz bei etablierten Parteien gemacht. Eine Re-Politisierung ist nötig - und das genau der bürgerlichen Koalition und der linken Opposition gemeinsam gelingen. Mit 70 Prozent hat die Wahlbeteiligung hoffentlich bei dieser Wahl ihren Tiefststand erreicht. Zumindest diesbezüglich sollte es dann 2013 keinen neuerlichen (Minus-)Rekord zu vermelden geben.
Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mannheim.