Zum Hauptinhalt springen

Rekordjagd der Nahrungsmittel

Von Stefan Meisterle

Wirtschaft

Rohstoffpreisanstieg ist von mehreren Faktoren abhängig. | Regulierung der Spekulation allein greift laut Experten zu kurz. | Wien. In der Zentrale von McDonalds muss Jim Skinner eine unangenehme Nachricht überbringen. Die Fastfoodkette wird die Preise für Hamburger erhöhen. Man werde nur "vorsichtig" an der Preisschraube drehen, betont der Konzernchef, schließlich will man keinen Aufstand der Burgerfans riskieren. | Die Rohstoff-Rally


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Knapp zehntausend Kilometer vom Sitz des US-Konzerns entfernt ist der Aufstand bereits in vollem Gange: Im Sudan gehen Tausende Menschen auf die Straßen. Allerdings nicht, weil sie gegen die Preispolitik einer amerikanischen Kette protestieren wollen, sondern wegen weitaus Gravierenderem: Sie wissen nicht, wie sie sich angesichts emporschnellender Preise für Grundnahrungsmittel ernähren sollen.

Zwei unterschiedliche Entwicklungen, die einen gemeinsamen Nenner haben: den globalen Anstieg der Lebensmittelpreise. In nur einem Jahr ist der von der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) errechnete Index für Nahrungsmittel um 37 Prozent gestiegen.

Biotreibstoff und Ölpreis als preistreibende Faktoren

Monika Rosen, Chefanalystin bei UniCredit Private Banking, ist überzeugt: "Die Phase der hohen Agrarpreise wird auch 2011 andauern." "Im Moment gehen alle gehen davon aus, dass die Nahrungsmittelpreise auf hohem Niveau bleiben werden", bestätigt auch Ralf Südhoff, Leiter des Berliner Büros der UN-Organisation "World Food Programme" (WFP). Dafür gebe es laut Südhoff mehrere strukturelle Ursachen: "Zunächst sorgt der wachsende Wohlstand in Schwellenländern wie China für einen Boom in der Nachfrage nach Lebensmitteln. Daneben haben wir es mit einem starken Bevölkerungswachstum zu tun und auch der wachsende Bedarf an Tierfutter sorgt für zusätzliche Nachfrage", nennt Südhoff einige Faktoren.

Als entscheidende Ursachen für den strukturellen Aufwärtstrend der Preise könnten sich vor allem aber Entwicklungen auf dem Energiesektor herausstellen: Biotreibstoffe und der Ölpreis. "Global gesehen ist die Biotreibstoffproduktion immer noch gering und betrifft nur fünf Prozent der Anbaufläche. Auf der anderen Seite kann eine derartige zusätzliche Nachfrage doch ein großer Preistreiber werden", so Südhoff. Besondere Aufmerksamkeit müsse man den Öl- und Energiepreisen widmen. Denn bereits bei der großen Welternährungskrise 2008 wären zunächst die Energiekosten gestiegen, um danach die Lebensmittelpreise mitzuziehen. Inzwischen ist der Ölpreis wieder im Höhenflug und legte binnen zwei Jahren von 51 Dollar pro Barrel auf fast 124 Dollar zu. Ein Anstieg, den speziell Agrarproduzenten zu spüren bekommen. Denn "Landwirtschaft ist sehr energieintensiv", betont Südhoff.

Die Rolle von Spekulation und Wettgeschäften

Doch es ist ein anderer Faktor, der die Aufmerksamkeit immer stärker auf sich zieht: die Spekulation. Nach Angaben der deutschen Welthungerhilfe waren branchenfremde Kapitalanleger zwischen 2007 und 2009 bei Weizen, Mais, Reis und Soja durchschnittlich für Preisaufschläge von 15 Prozent verantwortlich.

Die Bedeutung von spekulativen Geschäften bei der Bildung von Lebensmittelpreisen ist freilich umstritten. "Es ist unmöglich festzustellen, welchen Anteil die Anleger an der Preisentwicklung haben", sagt Rosen im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Und auch Südhoff will sich nicht auf konkrete Zahlen einlassen. "Man kann über die Rolle der Spekulation nur spekulieren", so der WFP-Experte. Doch es gebe auch eindeutige Indizien dafür, dass auf den Rohstoffmärkten mehr angelegt wird als noch vor wenigen Jahren. "Wenn man die Entwicklung des Weizenpreises betrachtet, gibt es für den starken Anstieg eine ganz reale Grundlage: schlechte Ernten in Russland und Australien. Doch selbst wenn es sich dabei um Ausfälle von ein paar Millionen Tonnen handelte, waren gleichzeitig die Weizenvorräte weltweit sehr groß. Am Ende hatten wir viel höhere Weizenpreise, als die Ernteausfälle in Russland und Australien hätten ausmachen dürfen. Da kann man dann schon relativ klare Rückschlüsse ziehen", erläutert Südhoff.

Dabei ist auch umstritten, ob man sinnvolle Maßnahmen gegen die Spekulation ergreifen soll. Denn für die Produzenten sind Termingeschäfte per se nichts Schlechtes: Indem ein Landwirt mit Hilfe sogenannter Futures einen Teil seiner Ernte vorab zu einem fixen Preis verkauft, gewinnt er Planungssicherheit. Folglich greifen ebenso österreichische Bauern wie große Käufer auf Futures zurück, um sich gegen Preisschwankungen abzusichern.

Regulierung der Märkte für mehr Transparenz

Heikel werden derartige Instrumente erst, wenn Anleger die Termingeschäfte spekulativ einsetzen. So sorgte das englische Agrarhandelshaus Armajaro 2010 mit dem verdeckten Aufkauf von Terminkontrakten im Wert von rund 700 Millionen Euro für eine künstliche Verknappung des Kakaoangebots - und im Alleingang für einen Anstieg des Preises.

Folglich plädiert auch Südhoff auf eine Regulierung der Märkte, speziell um die Transparenz der handelnden Akteure zu verbessern. "Es gibt große Rohstofffonds von Banken und Kapitalgesellschaften. Keiner kann beantworten, wie viel Kapital auf den Agrarmarkt fließt. Der Bauer weiß dadurch nicht, ob die Nachfrage tatsächlich so groß ist oder ob es sich derzeit nur um eine große Anlageblase handelt", bemängelt der WFP-Experte.

Dass man die Lebensmittelpreise allein mit einer Regulierung von Wettgeschäften in den Griff bekommt, glaubt Südhoff jedoch nicht: "Es würde zu kurz greifen, nur die Finanzmärkte zu regulieren. Spekulation hat vor allem den Einfluss, Preise starken Schwankungen zu unterwerfen." Für die Preissteigerung sei primär aber immer noch die reale Nachfrage verantwortlich. Und die dürfte angesichts der genannten Entwicklungen nicht so schnell zu bändigen sein.

World Food Programme