Das Coronavirus führt in den Ländern Mittel- und Osteuropas zur größten Wirtschaftskrise seit der Transformation. Dennoch könnten sich einige Reformstaaten auch relativ schnell wieder erholen. Österreich würde davon profitieren.
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Die Corona-Krise reißt auch in die Budgets der Länder Mittel- und Osteuropas ein tiefes Loch. Der Wirtschaftsboom, der sich in den letzten Jahren vor allem in den Visegrád-Staaten entfaltet hat, und der sich schon vor Beginn der Krise wegen der beginnenden Konjunkturabflachung abgeschwächt hat, ist zumindest einstweilen gestoppt. Laut Berechnungen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) bricht das durchschnittliche reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Region heuer um ganze 6,1 Prozent ein - das ist ein höherer Rückgang als im Jahr 2009, als die Finanzkrise das BIP dieser sehr heterogenen Länder um 5,6 Prozent nach unten riss. Dementsprechend dürfte die wirtschaftliche Erholung nach Beendigung der Krise auch schwächer ausfallen: Das WIIW rechnet mit nur 2,8 Prozent Wachstum im Jahr 2021. Nach der Bankenkrise war die Wirtschaft 2010 noch um 4,4 Prozent gewachsen.
Entwicklung unterschiedlich
"Die Corona-Krise ist global die schlimmste Krise seit den 1930er Jahren. Für jene mittelosteuropäischen Staaten, die ehemals kommunistisch waren, bedeutet das, dass die gegenwärtige Erschütterung die stärkste ist seit den schwierigen Jahren der Transformation Anfang der 1990er Jahre", erklärte WIIW-Analyst Richard Grieveson, der stellvertretende Direktor des Instituts, bei der Online-Präsentation des Berichts. Das Institut hatte die normalerweise für Juni angesetzte Veröffentlichung seines Sommer-Updates wegen der Corona-Krise vorgezogen.
Grieveson betonte gemeinsam mit WIIW-Geschäftsführer Mario Holzner aber auch, dass man die ebenso zahlreichen wie unterschiedlichen Länder Mittel- und Osteuropas nicht auf einen Nenner bringen kann. Die Entwicklungen in Ländern wie Tschechien, Kroatien, der Ukraine, Russland oder der Türkei verlaufen völlig unterschiedlich. So werden die größten realen BIP-Rückgänge heuer in Kroatien (-11 Prozent), Slowenien (-9,5 Prozent), der Slowakei (-9 Prozent) und Montenegro (-8 Prozent) erwartet.
Problemfall Tourismus
Es ist vor allem die besonders starke Abhängigkeit vom Außenhandel oder dem Tourismus, die diesen Staaten Probleme bereitet. Aber auch bei den beiden größten Volkswirtschaften der Region stehen heuer erhebliche Rezessionen bevor: Das WIIW prognostiziert, dass das reale BIP in der Türkei um 6 Prozent und in Russland um 7 Prozent einbrechen wird.
Russland steht laut dem WIIW-Bericht einer Art Doppelschock gegenüber: neben den Problemen durch das Coronavirus (das auch Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem aufzeigt) hat der Rohstoffexporteur mit dem extrem niedrigen Ölpreis zu kämpfen. Durch die Sanktionen seit 2014 ist das Land allerdings krisenerprobt und verfügt auch über genügend Fiskalreserven.
Am glimpflichsten dürften jene Länder durch die Krise kommen, die von Außenhandel und Tourismus nicht so stark abhängig sind. Das sind etwa das Kosovo (-4,4 Prozent) oder Moldawien (-3 Prozent). Auch jene Länder, die voraussichtlich erhebliche fiskalische Ressourcen einsetzen werden, um den Wirtschaftsabschwung abzufedern, dürften verhältnismäßig weniger hart betroffen sein. Das sind etwa Polen (-4 Prozent), Kasachstan (-3 Prozent) und Serbien (-4 Prozent). Jene Länder, die in der Lage waren, ihren "Lockdown" schneller aufzuheben, werden ebenfalls besser abschneiden als sonst zu erwarten gewesen wäre. Das betrifft etwa die Tschechische Republik (-4,8 Prozent), die auch mit ihrem vergleichsweise gut ausgestatteten Gesundheitssystem punktet.
Staaten, die stark von großen Kapitalzuflüssen abhängig sind, wie die Ukraine, Moldawien und einige Länder des Westbalkans, dürften hingegen hart getroffen werden: Es wird erwartet, dass Geldtransfers, ausländische Direktinvestitionen und Portfoliozuflüsse heuer stark zurückgehen werden. Hier werden der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Rezession spielen, so das WIIW.
Zwar betonten Grieveson und Holzner, dass ihre Vorhersagen auch jederzeit nach unten korrigiert werden könnten: Schließlich gibt es genug Risiken. So weiß niemand, wie sich eine zweite oder gar dritte Welle des Coronavirus auswirken würde. Auch dürfte durch das Virus die Kluft zwischen den Ländern größer werden - für die Stabilität der Region keine gute Nachricht.
Dennoch sehen die Ökonomen auch mögliche positive Effekte für Mittel- und Osteuropa: so könnte es etwa vermehrt zu "near shoring" kommen, zur Produktionsverlagerung aus Kostengründen in die nah gelegenen Nachbarstaaten. Auch von der Auslagerung von Dienstleistungen könnte man profitieren. Die Arbeitslosigkeit werde zwar kurzfristig höher sein, nach einigen Jahren würden Arbeitskräfte aber wieder Mangelware sein.
"Danach stärker vernetzt"
Für Österreich, das eng mit der Region verflochten ist, sind das gute Nachrichten. "Ab dem kommenden Jahr dürfte sich die Abhängigkeit von Osteuropa zu einem Vorteil für Österreich wandeln, da die dortigen Länder am besten in der Lage sind, eine relativ starke Erholung zu verzeichnen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich, den Visegradstaaten und Südosteuropa werden in zehn Jahren stärker sein als jetzt", sagte Grieveson.