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Relatives Glück am Rand der Krisenherde

Von Engelbert Washietl

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"Sie fahren ernstlich nach Jordanien? Lieben Sie Pulverfässer?" Das durchaus nicht, weshalb Jordanien gerade jetzt eine Reise wert war.


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Westeuropäer haben es schwer, ihre Reiselust mit der Abfolge weltweiter Unruhen zu synchronisieren. Kaum war der fruchtbare Bazillus der "Jasmin-Revolution" von Tunesien auf Ägypten übergesprungen, verbreiteten die Zeitungen eine Dominotheorie: Überall, wo arabisch gesprochen wird, scheinen die Herrscherhäuser zu wanken - und mit ihnen das Sicherheitsgefühl der Pauschaltouristen. Niemand bucht gern eine Tour in ein potenzielles Bürgerkriegsland, ja nicht einmal in eines der gepflegten "tourist resorts", die von grünbewachsenen Mauern gegen die Wirklichkeit lokaler Lebenswelten abgeschirmt sind.

Das Königreich Jordanien wurde sofort als mutmaßlich nächstes Opfer des Sturms der Massen auf die Paläste genannt. Aber seit einer heftigeren Demonstration am 24. März kommt Jordanien in den Nachrichten kaum noch vor. Die Kulturreise nach Jordanien war sowieso längst vor Ausbruch aller Unruhen gebucht, warum also nicht hinfahren? "Sie sind aber sehr mutig", war die Reaktion der meisten Bekannten.

Nach acht problemfreien Reisetagen im Rahmen einer von jedermann buchbaren Pauschaltour vom antiken Gerasa im Norden Jordaniens bis an den Golf von Aqaba im Süden lautet die sachliche Antwort: Überhaupt nicht mutig, mit der hypothetischen Einschränkung, dass auch in Jordanien ein unbedeutendes, aber fatales Ereignis den Zündfunken bilden könnte, der die Lage außer Kontrolle bringt. Aber erst dann würde eine ernsthafte Reisewarnung Sinn haben.

In den Hotels in der Hauptstadt Amman, in Petra und am Strand von Aqaba werden die Koffer mehr oder weniger auffällig überprüft und sogar durchleuchtet. In zahlreichen Autobussen, in denen Touristen die Distanzen auf der "Königsstraße" und auf Autobahnen überwinden, fährt ein bewaffnetes Mitglied der "Tourist Police" mit. Die Fremdenverkehrsbehörden haben schon längst vor Ausbruch der Spannungen begonnen, Sicherheit aufzubauen.

Jordanien hätte durch einen Ausbruch von Gewalt sehr viel zu verlieren. Die langjährige und schon vom verstorbenen König Hussein betriebene, von Abdullah II. fortgeführte Friedenspolitik hat Früchte getragen und einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung mitten im Spannungsfeld der Nahostpolitik ermöglicht.

Ehe sich im Volk erster Widerstand regte, machte der Monarch sozialpolitische Zugeständnisse, ohne freilich grundsätzliche Änderungen seines Herrschaftssystems zuzulassen. Das ist der springende Punkt.

Das Ausflugsschiff im Golf von Aqaba stoppt an dem Punkt, an dem die exponierte Position des Königreichs am wässrigen Vierländereck erlebbar wird: Im Süden flankiert von Ägypten, das eine neue Form politischer Ordnung sucht, und Saudi Arabien, das sich nicht nur gegen Neuerungen, sondern auch den Massentourismus sperrt; direkt gegenüber von Aqaba das hochgerüstete Bollwerk Israel mit dem Hafen Eilat und als Nachbar aller drei das weltoffene Jordanien.

An den Abhängen am Toten Meer wachsen auf jordanischer Seite Hotelanlagen empor, die das zahlungskräftige Wellness-Publikum europäischer und amerikanischer Herkunft zu Salz- und Schlammkuren einladen. Infrastruktur und gesellschaftliche Systeme des Königreichs mit seinem komplexen Gemisch der Bevölkerungsschichten sind auf pragmatische Neuerungen angelegt und nicht auf revolutionären Umsturz.

Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, Salzburger Nachrichten.